Ich muss meinen Balkon bepflanzen. Das klingt nach keiner großen Sache, für mich allerdings ist es die Ankündigung sicheren Scheiterns. Der Balkon ist meine Sisyphosaufgabe, mein Waterloo mit Ansage, Symbol meiner Unzulänglichkeit.
Seit 20 Jahren lebe ich in wechselnden Wohnungen mit Balkonen und noch kein einziges Mal ist es mir gelungen, eine Balkonbepflanzung über die Saison zu bringen. Sprich: Ende April, Anfang Mai etwas einzupflanzen oder auszusäen, das bis Ende September noch am Leben ist.
Ich weiß, was Sie jetzt denken und ich möchte Ihrem Impuls, mir zu schreiben, zuvorkommen: Ja, ich gieße meine Pflanzen täglich. Ja, ich dünge sie auch. Ich achte darauf, dass die Erde feucht ist, sich aber nirgendwo Wasser staut. Ich stelle keine Schattenpflanzen in die pralle Sonne und umgekehrt. Ich versuche mich nicht an Exotischem, meine Ansprüche sind sehr bescheiden. Und dennoch: Wo ich hinfasse, stirbt alles Grün.
Jetzt könnte ich natürlich einfach darauf verzichten, meinen Balkon zu bepflanzen, aber es gibt gesellschaftliche Konventionen, denen ich mich schwer entziehen kann. Vielleicht ist es meiner Dorfkindheit geschuldet, in der der Vorgarten als Visitenkarte des Zuhauses galt, also gepflegt werden wollte. Nun betritt man meine Wohnung nicht über den Balkon, aber er fällt eben doch unangenehm auf in meiner Straße voller talentierter Gärtner. Um mich herum, auf den Balkonen meiner Nachbarinnen und Nachbarn, sprießen die herrlichsten Küchenkräuter, ranken sich Kletterpflanzen die Mauern empor, schwappen im Sommer üppige Geranien über Balkonbrüstungen. Wenn ich Bekannten, die noch nie bei mir Zuhause waren, beschreiben will, wo ich wohne, sage ich: Nummer 5, zweiter Stock, da wo nichts blüht.
Der Todeshauch, den meine Anwesenheit auf Pflanzen legt, hat sich in der Nachbarschaft herumgesprochen: Ich werde nie, wirklich nie gefragt, ob ich in den Ferien Blumengießen kommen könnte. Dafür lässt man mich großzügig teilhaben an der Balkon-Tomatenernte, denn wer hier etwas auf sich hält, hat seinen Raucheraustritt längst in einen kleinen Nutzgarten verwandelt. »Es ist wirklich ganz einfach«, sagen meine Freundinnen und Nachbarn. »Und so toll für die Kinder, zu sehen, wie das Gemüse wächst.«
Ja, die Kinder. Im Grunde sind sie es, für die ich jedes Jahr aufs Neue zum Gartencenter fahre, einen Sack Erde und zwölf todgeweihte Pflänzlein in meine Wohnung wuchte. Die Kinder lieben es, den Balkon zu bepflanzen, denn das macht Dreck und Dreck ist ihr Hobby. Und wenn sie schon kein Haustier haben können, dann sollen sie sich doch wenigstens am Werden und Vergehen der Natur in den zwei Quadratmetern Außenbereich unserer Wohnung erfreuen können. An den Bienen zum Beispiel, die dort Pollen für den Stadthonig sammeln könnten, an Marienkäferchen auf der Suche nach Blattläusen. Stattdessen sind sie Jahr für Jahr Zeugen des langsamen, unvermeidlichen Siechtums allen Lebens auf unserem Balkon: Verkümmerte Margeriten, traurige Begonien, fleißige Lieschen im Pflanzenburnout. Langsam könnten ihnen Zweifel kommen, ob ich eigentlich in der Lage bin, sie adäquat groß zu ziehen, wenn ich nicht mal ein paar Stiefmütterchen am Leben erhalten kann.
Ich blicke also mit Demut und Dankbarkeit auf die kommende Generation und ihren Einsatz für die Natur und das Klima, denn in meinen Händen wäre dieser Planet garantiert verloren.
Ich werde in diesem Jahr einen allerletzten Versuch starten, meinen Balkon in eine kleine Stadtoase zu verwandeln. Ich werde mein Bestes geben. Und wenn alles nicht hilft, mache ich stattdessen eine Art Pflanzenhospiz auf, für alle meine Freundinnen und Freunde, die schon seit dem Studium einen Ficus oder eine Stechpalme mit sich herumschleppen, derer sie längst überdrüssig geworden sind, weil es längst andere, bessere, schönere Pflanzen in ihrem Leben gibt oder der Partner auch welche in die Beziehung miteingebracht hat. Echte Pflanzenfreunde können Pflanzen aber nicht einfach sterben lassen oder wegwerfen, daher mein Angebot: Schickt sie zu mir. Ich werde sie mit viel Sorgfalt und Hingabe zu Tode pflegen, es wird ihnen an nichts fehlen und sie werden garantiert nicht überleben.