Die Lage der Bundesligaclubs hat für viele Fußballfans die geografische Vorstellung von Deutschland bestimmt. Jeder, der etwa mit den Kicker-Sonderheften zum Saisonbeginn aufwuchs, zog die Konturen seines Heimatlandes zuallererst aus dem Studium der Bundesligakarte am Anfang der Zeitschrift.
Dass Nordrhein-Westfalen ein dicht besiedeltes Gebiet voller Großstädte war; dass Berlin als isolierte Insel innerhalb der Bundesrepublik erschien – all das wurde zum ersten Mal durch die Verteilung der Fußballvereine auf der Deutschland-Karte im Kicker veranschaulicht. Und die Erkenntnis, dass manche Städte in Wahrheit gar nicht wie die bekannten Bundesligaclubs hießen, dass »Uerdingen« und »Schalke« nur Stadtteile von Krefeld und Gelsenkirchen waren, wollte man lange Zeit nicht hinnehmen. Die Kraft der Vereinsnamen war stärker als die geografische Realität. Vielleicht muss man diese prägende Kraft des Fußballs in Erinnerung behalten, um die Diskussionen über den Bundesliga-Aufsteiger aus Hoffenheim zu verstehen. Denn der rasante, vom Reichtum des Softwareproduzenten Dietmar Hopp begünstigte Siegeszug des Provinzclubs bringt zum ersten Mal einen Verein auf die Karte der Bundesliga, der unter falschem Namen spielt: »Hoffenheim« mit seinen gut 3000 Einwohnern ist ein Vorort von Sinsheim, in der Nähe von Heidelberg; das neu errichtete Stadion wird in der Stadt Sinsheim stehen, das weitläufige Trainingsgelände im Nachbarort Zuzenhausen.
Streng geografisch ist der Fußballclub Hoffenheim inzwischen nichts als Fiktion, was in der immer noch auf regionaler Verwurzelung ausgerichteten Welt des Fußballs Verstörung und Ressentiment hervorruft.
Hoffenheim: ein Club ohne Ort. Und auf diesem unbezeichneten Terrain versuchen Hopp und sein Trainer Ralf Rangnick etwas zu realisieren, was immer schon als größte Gefahr des Sports betrachtet wird: Es geht um die Planbarkeit von Erfolg. Die Aggressionen, die Hoffenheim seitens der Medien sowie der gegnerischen Fans regelmäßig entgegenschlagen, hängen genau mit dieser Vorhersehbarkeit der Siege zusammen.
Die Auseinandersetzung um den wettbewerbsverzerrenden Vorteil des Geldes greift dabei alle vertrauten Motive der Dopingdebatten auf: Was für den Körper des Einzelsportlers Stereoide und Anabolika, sind für den Mannschaftskörper unbegrenzte Geldmittel, die in ihn hineingepumpt werden. In den Tiraden gegen den »Retortenclub« Hoffenheim steckt jenes romantische Menschenbild, dass der siegreiche Sportler seine Leistung ganz aus sich selbst heraus schöpfen möge, ohne jedes äußerliche Hilfsmittel, wie es auch im Kampf gegen Doping immer wieder aufscheint.
Auffällig am Hoffenheimer Modell ist vor allem, wie sehr das ganze Projekt von einer Art schlechtem Gewissen der Verantwortlichen begleitet wird: Das beginnt mit der Namensänderung des Vereins im Sommer 2007, von »TSG Hoffenheim« in »1899 Hoffenheim«, um jene bundesligakonforme Tradition zu suggerieren, die man gerade nicht hat. Das setzt sich fort in den litaneihaften Bekenntnissen, dass das milliardenschwere Vermögen Hopps nicht einfach streng erfolgsorientiert fließt, sondern »nachhaltig« angelegt wird, in regionale Jugendarbeit und internationale Talente, die sich irgendwann gewinnbringend verkaufen lassen. Ständig wird das Gewachsene des Vereins betont – zweifellos im Bewusstsein dessen, dass genau das nicht der Fall ist.
An diesen Bekenntnissen lässt sich aber ablesen, wie wenig sich selbst ein Club wie Hoffenheim den Sprechweisen und Mythen der Fußball-Bundesliga entziehen kann: Auch wenn die Finanzlage jede Verbundenheit mit einem Herkunftsort obsolet macht, kann der Verein offenbar nicht umhin, sich eine organische und substanzielle Entwicklung zu erfinden: keine geschichtlich geprägte, wie bei den anderen Clubs, sondern eine unternehmerische. »Geld schießt keine Tore«, heißt es dazu aus dem Mund der Beteiligten. Demba Ba und Vedad Ibisevic beweisen jeden Samstag das Gegenteil.
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