Die Gewissensfrage

Darf ich als Freiberufler einem Auftraggeber ein günstiges Onlinenangebot empfehlen, auch wenn dadurch mein Haupt-Arbeitgeber einen Kunden verliert?

»Ich bin halbtags in einem Fotolabor mit kleinem Druckereibetrieb angestellt. Nebenbei arbeite ich freiberuflich als Grafiker. Durch den Kundenkontakt bekomme ich manchmal Aufträge für Grafikprodukte. Auch der Laborbesitzer vermittelt den einen oder anderen Kunden an mich. Als selbstständiger Grafiker kenne ich sehr günstige Druckangebote im Internet und fühle mich meinen neuen Auftraggebern gegenüber verpflichtet, das günstigste Angebot herauszusuchen. Andererseits verliert das Fotolabor, bei dem ich fest arbeite, dadurch einen Kunden. Ich befinde mich in einem Loyalitätskonflikt. Was wäre richtig?« Erich H., Nürnberg

Ihr Konflikt entsteht dadurch, dass Sie entgegenstehende Verpflichtungen eingegangen sind. Einerseits fühlen Sie sich gegenüber Ihren Auftraggebern verpflichtet, für sie das günstigste Angebot herauszusuchen. Andererseits fühlen Sie sich dem Fotolabor verpflichtet, das Ihnen ja den Auftrag vermittelt hat – wohl nicht in der Erwartung, dadurch einen Kunden zu verlieren.

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Interessant finde ich, wie es zu diesen entgegenstehenden Verpflichtungen kommen konnte. Den Kern Ihres Problems sehe ich nämlich in etwas, was Karl Marx »entfremdete Arbeit« nannte. Während Ihrer Arbeit im Fotolabor mit Druckerei wirken Sie an der Entstehung eines Produkts mit, das Sie offenbar bei der Arbeit als freiberuflicher Grafiker Ihren Auftraggebern nicht empfehlen können. Das bedeutet, dass Sie bei mindestens einer Ihrer Tätigkeiten nicht hinter dem stehen, was Sie machen. Entweder Sie sind der Meinung, dass das, was Sie in der Druckerei mit erzeugen, nicht empfehlenswert, weil nicht günstig ist. Oder Sie müssen bei Ihrer Arbeit als Grafiker etwas, weil günstig, empfehlen, was Sie nicht gut finden. Sie sind also im Marx’schen Sinne vom Produkt Ihrer Arbeit oder auch von Ihrer Arbeit selbst entfremdet.

Die gründlichste Lösung wäre demnach festzustellen, bei welcher Tätigkeit Sie entfremdet sind, und diese dann zu beenden oder zumindest zu verändern. Falls es Ihnen widerstrebt, für Ihre Kunden im Internet nach Druckereischnäppchen zu suchen, könnten Sie ihnen sagen, dass Sie es für besser halten, Druckaufträge vor Ort ausführen zu lassen, und deshalb nicht im Internet recherchieren. Finden Sie hingegen die Onlinedruckereien besser, sollten Sie hinterfragen, ob Sie als Angestellter bei der kleinen Druckerei richtig sind.

Wenn Sie an der Konstellation nichts ändern wollen oder können, etwa aus wirtschaftlichen Gründen, müssen Sie die Verpflichtungen aufeinander abstimmen. Das können Sie tun, indem Sie bei der Übernahme der freien Aufträge mit dem Besitzer Ihres Fotolabors klären, inwieweit Sie andere Druckereien empfehlen wollen oder sollen. Und dann gegenüber den Beteiligten klarstellen, ob Sie es tun oder nicht; etwa indem Sie den Druckereivergleich aus Ihrem Auftrag ausklammern oder das Fotolabor als gesetzt vereinbaren. Wenn Sie offen agieren, entsteht auch kein Loyalitätskonflikt.

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Quellen:

Karl Marx Abhandlung über die entfremdete Arbeit findet sich in den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten aus dem Jahre 1844, die erst 1932 nach Karl Marx’ Tod herausgegeben wurden.
Karl Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, zum Beispiel in der Ausgabe im Meiner Verlag Hamburg 2008

Illustration: Marc Herold