Um Klassen besser

Sollte man versuchen, beim Sport körperliche Unterschiede auszugleichen, damit alle die gleichen Siegeschancen haben?

»Mit Kumpels beim Kartfahren haben die leichten Fahrer einen Vorteil. Deshalb verlangen die schweren Fahrer einen Ausgleich über Gewichte. Das sieht auf den ersten Blick fair aus. Die kleinen, leichten Fahrer argumentieren aber, dass sie ansonsten bei fast jeder Sportart im Nachteil sind und dort auch nie einen Chancenausgleich erhalten. Wer hat recht?« Lars C., Berlin

Chancengleichheit halte ich für ein sehr hohes Gut. Deshalb hat die Idee etwas für sich, Menschen, die oft benachteiligt sind, wie eben Kleinere bei vielen Sportarten, zum Ausgleich an anderen Stellen einen dort umgekehrt bestehenden Vorteil bewusst zu belassen, hier den Gewichtsvorteil beim Kartfahren. Betrachtet man das Leben allgemein, würde es insgesamt gerechter, ein erstrebenswertes Ziel – auch wenn es vollständige Gerechtigkeit nie geben wird.

Allerdings habe ich meine Zweifel, ob es in diesem Fall funktioniert. Ich bin kein besonders großer Freund des Wettkampfgedankens im Leben wie auch im Sport, deshalb kann ich es nur eingeschränkt beurteilen: Aber macht Gewinnen denn wirklich Freude, wenn man von vornherein weiß, dass man einen Vorteil hat und deshalb gewinnt? Zudem kommt es hier zu einem Widerspruch mit der Idee des sportlichen Spiels. Ein Spiel ist eine Situation, die durch Spielregeln vom normalen Leben abgegrenzt wird. Diese Abgrenzung soll unter anderem gewährleisten, dass innerhalb des Spiels die Mühen und Belastungen des sonstigen, realen Lebens nicht gelten. Nur dadurch kann das Spiel die Möglichkeit eröffnen, abzuschalten, in eine andere Welt einzutauchen und anderes mehr, dessentwegen Menschen auch als Erwachsene gern spielen. Wenn man hier auf den vom Spiel gebotenen Gewichtsausgleich verzichtet aus Gründen, die außerhalb dieses konkreten Spiels liegen, eröffnet man dem sonstigen Leben ein Einfallstor in dieses Spiel und beraubt es eines Teils seines spielerischen Zaubers.

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Kurz, bei genauerer Betrachtung wäre der Vorteil hier nur ein oberflächlicher, er ist hohl, bringt deshalb auch den Leichteren wenig und mindert das Vergnügen für alle Beteiligten.

Literatur:
Arneson, Richard, "Equality of Opportunity", The Stanford Encyclopedia of Philosophy, Edward N. Zalta (ed.)
Online abrufbar hier.
Einen interessanten Überblick über das Thema mit dem Schwerpunkt Bildung mit einer Vielzahl von Literaturverweisen bekommt man auf der Webseite „Equality of Opportunity and Education“ des McCoy Family Center for Ethics in Society der Stanford University.
Der Gedanke der Chancengleichheit ist auch zentral in einer der wichtigsten Gerechtigkeitstheorien des 20. Jahrhunderts:John Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1975, besonders § 17 Die Tendenz zur Gleichheit, S. 121ff.John Rawls: Gerechtigkeit als Fairness. Ein Neuentwurf, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003, besonders § 21 Veranlagung als gemeinschaftliches Guthaben ansehen, S. 123ff.Man könnte argumentieren, dass es sich bei dem hier vorgeschlagenen Ausgleich der Chancenungleichheit um eine Form der besonders in den USA diskutierten, angewandten und politisch wie verfassungsrechtlich umstrittenen „Affirmative Action“ handelt. Dieser Begriff lässt sich vielleicht am besten mit „Positive Maßnahmen“ (zum Ausgleich von Nachteilen durch eine Diskriminierung) übersetzen. Dabei werden Mitglieder einer benachteiligten Gruppe gezielt bevorzugt, um einen Ausgleich der Benachteiligung zu erreichen. Allerdings geht es bei der Affirmative Action um eine Bevorzugung in dem Bereich, in dem eine Benachteiligung besteht und deshalb ausgeglichen oder kompensiert werden soll. Sie findet bildlich vertikal statt. Hier würde es darum gehen, eine Benachteiligung auf anderen – wenn auch benachbarten – Gebieten durch eine Bevorzugung auf diesem Gebiet zu kompensieren. Bildlich gesprochen ein horizontaler Ausgleich.Siehe dazu:Fullinwider, Robert, "Affirmative Action", The Stanford Encyclopedia of Philosophy, Edward N. Zalta (ed.)Online aufrufbar hier.

Europäische KommissionChancengleichheit verwirklichen: Welche Rolle soll positiven Maßnahmen zukommen?Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften 2007ISBN 978-92-79-04964-4Online abrufbar hier.

Katrin Wladasch, Barbara LieglPositive MaßnahmenEin Handbuch zur praxistauglichen Umsetzung von Maßnahmen zur Bekämpfung von strukturellen Diskriminierungen und zur Herstellung von mehr ChancengleichheitEine Publikation des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte im Rahmen des Projektes „Positive Maßnahmen: Eine Strategie zur Bekämpfung von struktureller Diskriminierung und zur Herstellung von mehr Chancengleichheit“, gefördert aus Mitteln der Europäischen Union im Rahmen der Programmschiene PROGRESS mit Unterstützung der Gemeinde Wien, MA 17 – Abteilung für Integrations- und Diversitätsangelegenheiten.Online abrufbar hier.

Zum Spiel, insbesondere zur Notwendigkeit, den Spielplatz vom sonstigen Leben abzugrenzen, siehe das Standardwerk zum Spiel:Johan Huizinga, Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im SpielRowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1987S. 15 ff. Formale Kennzeichen des Spiels
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