»Ich fahre häufig mit dem Rad zur Arbeit und stelle es auf einem öffentlichen Platz ab. Leider ist dort kein Abfalleimer und so finde ich nach Feierabend in meinem Fahrradkorb oft allen möglichen Dreck, von benutzten Taschentüchern bis zu Pommesschalen. Da ich aber auch nicht weiß, wohin damit, und außerdem den Korb für meine Tasche brauche, werfe ich das Zeug auf den Boden. Dabei fühle ich mich lediglich als ›verlängerter Arm‹ meiner Mitmenschen. Andererseits plagt mich das schlechte Gewissen. Bin ich selbst für den Abfall verantwortlich? Muss ich ihn ordnungsgemäß entsorgen?« Katharina L., Köln
Als ob das nicht jeder Radfahrer kennen würde, mit oder ohne Korb. Deshalb will ich es hier klar und deutlich sagen (auch wenn ich fest darauf vertraue, dass die Leser dieser Kolumne niemals auf die Idee kämen, fremden Leuten Abfälle unterzujubeln): Man entsorgt seinen Dreck nicht bei anderen!
Doch bei Ihnen haben die Nichtleser ihr schändliches Tun bereits vollbracht. Es geht deshalb nicht mehr um die Frage, wie zu agieren wäre, sondern wie zu reagieren ist. Eine befreundete Anwältin hat dieses Problem auch häufig und sie löst es genauso wie Sie, sogar mit ähnlicher Begründung: Sie sieht sich nur die Tat des Fremden vollenden. Denn dessen Wurf, so die Meinung der Expertin, wurde vom Fahrradkorb lediglich dank einer ungenehmigten, damit widerrechtlichen und somit aus Rechtsgründen hinwegzudenkenden Umwidmung zum Abfallkorb unterbrochen. Und da sie nicht einverstanden ist mit dem Missbrauch ihres Fahrrads, zieht sie es gedanklich in der letzten Sekunde unter dem fallenden Kehricht weg.
Nun sind Juristen sehr geübt im Hinzu- und Wegdenken von Ereignissen, Handlungen und Unterlassungen. Sie kommen damit auch meist zu rechtlich befriedigenden Lösungen. Aber taugt diese Methode auch bei moralischen Fragen? Die einzigen hier passenden Überlegungen sind doch: Was tun Sie? Und: Ist das richtig? Das Erste ist klar: Sie werfen Müll auf den Boden. Und damit doch auch das Zweite: Das ist nicht richtig. Denn egal aus welchem Grund es geschieht, das Ergebnis ist Abfall auf der Straße. Dort gehört er aber nicht hin. Und überhaupt: Wieso glauben Sie, im Recht zu sein, wenn sie als verlängerter Arm eines Umweltsünders handeln?
Aus dem SZ-Magazin vom 21.5.2004