Das Problem: In vielen Supermarktprodukten steckt Palmöl. Das ist zum einen aber oft mit Schadstoffen belastet, zum anderen werden für Palmölplantagen weltweit Millionen Hektar Regenwald gerodet.
Die Lösung: Statt Palmöl neu entwickeltes »Hefeöl« verwenden, das aus altem Brot hergestellt wird.
Es kommt selten vor, dass eine Lösung nicht nur hübsch bunt aussieht, sondern auch noch lecker schmeckt. Im Verkaufsraum der Bäckerei »Ways« des Moosinninger Bäckers Ludovic Gerboin liegen die Krapfen, Eclairs und Beerentörtchen in der Verkaufsvitrine. Unter UV-Licht schimmert der Guss mancher Törtchen leuchtend rot, bei Tageslicht blau. »Das sind eigentlich Tabu-Farben«, sagt der Bäckermeister aus der Bretagne, der sein Handwerk sowohl in Frankreich als auch nochmal in Deutschland gelernt hat. Aber für seine Backexperimente hat er blaue, rote und grüne Mikroalgen aus dem Labor der Technischen Universität München (TUM) verwendet. »Die Algen haben einen sehr hohen Gehalt an Protein, Antioxidantien und Vitamin B«, erklärt Thomas Brück, Professor für Synthetische Biotechnologie an der TUM. »Mit zwei Scheiben Algenbrot kann man den Tagesbedarf an Vitamin B decken. Damit werden die Backwaren gleich viel gesünder!«
Den genialsten Aspekt an den Backwaren aber sieht und schmeckt man nicht: Statt Palmöl, wie die meisten anderen Bäckereien, verwendet Gerboin seit einem knappen Jahr Hefeöl, das aus Gebäck hergestellt wird, das bei ihm übrig blieb. Dafür röstet Gerboin sein unverkauftes Brot, solange es noch frei von Schimmel und anderen Verunreinigungen ist, zermahlt es und liefert es an die TUM. Brücks Team macht daraus mit Hilfe spezieller Hefe ein Öl, das Gerboin wiederum für seine Teige und zum Frittieren verwendet. »Den herkömmlichen Anbau von Monokulturen ersetzen wir durch einen echten ökologischen Kreislauf ohne Abfall«, sagt Brück.
Die Probleme beim Palmöl sind seit Jahren gut dokumentiert: Palmöl ist das weltweit wichtigste Pflanzenöl, es steckt in sehr vielen Supermarktprodukten, etwa in Margarine, Nutella, Waschmittel, Fertiggerichten, Cremes, aber auch in Biokraftstoffen. Weil Palmöl so lukrativ ist, wurden für den Anbau auf weltweit 19 Millionen Hektar Monokulturen eingerichtet. Durch die Brandrodungen und massiven Kahlschläge werden die Lebensräume von Orangutans und anderen Lebewesen zerstört. Außerdem ist Palmöl oft mit Schadstoffen belastet, die bei der Raffination entstehen.
Trotzdem kommt kaum eine Bäckerei ohne Palmöl aus, denn Palmöl ist billig, haltbar und geruchlos. »Semmeln, Brezen, Croissants, eigentlich ist in jedem Produkt Palmöl drin, auch in der Schokoladenkuvertüre«, sagt Gerboin. Gerade zur Faschingszeit, wenn er viele Krapfen bäckt, verbraucht er in zwei Wochen schon mal 300 bis 500 Kilo Öl. »Manche Bäcker ersetzen Palmöl durch Rapsöl, wenn sie palmölfrei backen wollen«, weiß Gerboin, aber auch das Rapsöl hat keine einwandfreie Umweltbilanz. Alternativen gibt es, zum Beispiel Kokosöl oder Bio-Palmöl, für das keine Rodung stattfindet, aber diese Öle kosten meist mehr als das doppelte des konventionellen Palmöls, und ein kleiner Ortsbäcker wie Gerboin arbeitet ohnehin bereits hart an der finanziellen Schmerzgrenze.
Gerboin ist ein Traditionsbäcker, der seinen Teig noch mit der Hand knetet, den Sauerteig 24 Stunden ruhen lässt und die halbe Nacht über mit seinem kleinen Team in der Backstube an der Moosinninger Dorfstraße steht. »Damit kann er preistechnisch nicht mit der Großbäckerei konkurrieren, deren Fertigbackmischung in zwei Stunden fertig ist«, sagt Brück, der sogar einmal eine Nacht lang mitgebacken hat. »Wir haben um halb zehn abends angefangen und morgens um sechs Uhr aufgehört. Das ist Knochenarbeit. Aber man schätzt dann auch, was es bedeutet, Qualitätsprodukte zu produzieren.«
Weil Brücks und Gerboins Töchter auf die gleiche Schule gehen, haben sich die Väter angefreundet, und aus der privaten Freundschaft ist inzwischen eine Partnerschaft für einen umweltfreundlichen und kostengünstigen Palmöl-Ersatz geworden: Aus 120 Kilo Alt-Brot werden 70 bis 75 Liter Öl, das leicht gelblich gefärbt aus der Hochleistungszentrifuge tropft. »Da kommt die Innovation aus meinem Labor mit seiner Kreativität als Handwerksbäcker zusammen, daraus entsteht ein hochwertiges Produkt, das ist der Mehrwert«, schwärmt Brück.
Die Pilotanlage in der TUM ähnelt mit den hohen silbernen Stahlkesseln einer Brauerei. Enzyme, die Brücks Team durch Fermentation einer kleinen Menge Restbrot mit einem speziellen Pilzstamm gewann, wandeln hier die Stärke im Brot in fermentierbare Glukose um. Hefe kann beim Fermentationsprozess den Zucker entweder in Alkohol umwandeln oder eben in Fett. »Der Unterschied zur Alkoholfermentation ist: Beim Bierbrauen wird der Alkohol von der Zelle ausgeschieden«, erklärt Brück. »Bei der Hefeöl-Fermentation bleibt das Öl erst mal in der Zelle drin.« Eine Zentrifuge trennt dann das Öl, und zwar, wie Brück betont, ohne die sonst beim Palmöl oft eingesetzten toxischen Lösungsmittel. Sieben Jahre lang haben Thomas Brück und sein Forschungsgruppenleiter Mahmoud Masri am richtigen Rezept getüftelt. Inzwischen haben sie die Technik fast perfektioniert und halten fünf Patente. »Das Hefe-Öl ist sogar besser, weil es haltbarer ist« sagt Gerboin. »Ich kann es bis zu 60 Mal wiederverwenden. Sogar meine Bayerische Creme mache ich damit.«
Brück forscht schon lange zur Verwertung von Reststoffen; bevor er nach München kam, studierte er neun Jahre in Großbritannien und sechs Jahre in den USA. Aus irischen Krabbenschalen isolierte er bereits eine Hefe, die besonders gut Öl bildet und deshalb nun auch zur Herstellung des Hefeöls verwendet wird. Er betont, dass diese Hefe ohne Genmanipulation auskommt. »Wir nehmen Abfallprodukte – Krabbenschalen und altes Brot – und schaffen daraus ein neues, hochwertiges Produkt«, sagt Brück.
Schon vor dem Kontakt mit Brück hatte Ludovic Gerboin aus ökologischen Gründen bis zu 10 Prozent des unverkauften Brots geröstet und wiederverwendet. »Aber finanziell lohnt sich das nicht«, sagt er. »Deshalb schmeißen viele Bäckereien alles weg.« Das alte Brot kommt entweder in eine Biogasanlage, als Schweinefutter in den Trog oder schlicht in die Abfalltonne. »Was wir dagegen machen«, erklärt Brück, »ist ein wirklich zirkulärer Kreislauf, denn beim Fermentationsprozess bleibt kein Abfall übrig.« Das Abwasser sei reich an Nährstoffen und werde einfach in die nächste Fermentation zurückgeführt.
Brück und Masri haben das Startup Global Sustainable Transformation (GST) gegründet, mit dem sie die Technologie größeren Unternehmen zur Verfügung stellen wollen. Auch einen Verbund kleinerer Bäckereien könnte sich Brück vorstellen: »Für einen einzigen Bäcker lohnt sich die Anlage nicht, aber für mehrere kleine oder einen großen Betrieb schon.« Das Rohmaterial ist jedenfalls prinzipiell vorhanden, denn in Deutschland landen gigantische Mengen von alten Backwaren im Abfall: Es sind wohl mindestens 600.000 Tonnen im Jahr, der World Wildlife Fund spricht gar von 1,7 Millionen Tonnen.
Auch andere Rohstoffe als altes Brot kämen für das Hefeöl in Frage. »In Bayern haben wir ungefähr 600.000 Tonnen Weizenkleie, die nicht in die Nahrungsmittelindustrie gehen, weil sie nicht die entsprechende Qualität haben«, erklärt Brück. »Das wird vor Ort verbrannt. Wir dagegen könnten diesen Rohstoff sehr effizient nutzen, um daraus Hefeöl zu machen.« Laut Brück würde sich das Hefeöl nicht nur für die Lebensmittelproduktion, sondern auch für die Kosmetikindustrie eignen, zum Beispiel für Seifen. »Es würde sich ökonomisch rechnen, wäre ökologisch nachhaltiger, und regulatorisch ist es kein Problem.« Bei derzeit 1,40 Euro pro Liter ist der Preis für das Hefeöl auch konkurrenzfähig, bei weiterer Skalierung könnte der Preis in einem Jahr auf 60 Cent pro Liter sinken, rechnet Brück.
Zusätzlich zu den Algentörtchen und dem grasgrünen Algen-Baguette, das Gerboin bereits anbietet, versucht er sich derzeit an Insektenbrot und dem weltweit ersten Insektenkrapfen
Brücks Vision ist gewaltig: »Man könnte damit vier Millionen Tonnen CO2 einsparen, vielleicht sogar noch mehr.« Auf diese Zahl kommt er, wenn er überschlägt, wieviel Flächen und Ressourcen die internationale Palmöl-Herstellung verbraucht. Brück, Masri und Gerboin, der auch an einem der Patente beteiligt ist, wollen noch in diesem Jahr das erste große Projekt angehen und in einer neuen Anlage in Bayern 100.000 Liter Hefeöl für die Lebensmittelindustrie produzieren. Es werde mit Unterstützung des Bundeswirtschaftsministeriums finanziert, sagt Brück, der die Bundesregierung auch strategisch berät, aber Details will er noch nicht verraten.
Brück betont, dass ihm auch die internationalen Aspekte wichtig sind: deutsche Innovation plus deutsch-französische Backkunst, und das ganze unter der Leitung von Mahmoud Masri, der in Damaskus Chemie studierte und mit seiner Doktorarbeit am TUM das Verfahren zur Produktion des Hefeöls perfektionierte. Da haben sich drei Tüftler gefunden, die sichtlich viel Vergnügen daran finden, einander mit immer neuen Ideen zu locken. So bastelt das Team noch an anderen ökologischen Backprojekten: Zusätzlich zu den Algentörtchen und dem grasgrünen Algen-Baguette »Alguette«, das Gerboin bereits anbietet, versucht er sich derzeit an Insektenbrot und dem weltweit ersten Insektenkrapfen. »Schokokaramelkrapfen mit zehn Prozent Mehlwürmern, und ich habe auch ein paar Insekten ins Krokant reingegeben«, beschreibt Gerboin enthusiastisch seien neueste Kreation. Insekten sind bekanntlich proteinreich, gesund und belasten das Klima weit weniger als Tiere aus Massentierhaltung, auch wenn die Nachfrage nach Mehlwürmern in Moosinning vielleicht eher verhalten bleiben wird.
Bisher war es in seinen zwei Filialen nicht sichtbar, dass er mit einem besonders umweltfreundlichen Öl backt, aber demnächst will er die Innovation auch extra bewerben und »Klima-Krapfen« anbieten, »den nachhaltigsten Krapfen der Welt«. Als ausgewogen berichtende Reporterin muss man aber auch die Nachteile dieser Lösung ehrlich schildern. »Der Thomas hat mindestens fünf Kilo zugenommen«, sagt Gerboin lachend über seinen Partner beim gemeinsamen Zoom-Interview, denn über viele Monate brachte Gerboin immer wieder ganze Paletten Backwaren zum Testen in die Uni. Gerade zu Beginn des Jahres, wenn viele von uns mit guten Diät-Vorsätzen ins Jahr starten, muss man hinzufügen: Klimafreundlich mögen die Krapfen schon sein, aber kalorienfreundlich sind sie nicht.