Sie riechen nicht gut. Sie sehen auch nicht gut aus. Erst recht nicht, wenn man sie mit dem Messer öffnet. Dann blickt man in eine rote, labskausartige Masse, von der man nicht glauben kann, dass sie in Asien als Delikatesse gilt: Seegurken sind dort nur unwesentlich günstiger als Trüffeln oder Kaviar. 900 Euro pro Kilogramm kosten die kleinen mit den großen Warzen.
Man kauft sie getrocknet. Zu genießen sind Seegurken nur, wenn man sie zwei, drei Tage einlegt und anschließend aufkocht, gern in Milch, damit sie schön weich werden. Den größeren, im Preis auch etwas günstigeren, muss man noch die Haut abziehen. Nach dem Kochen gleicht ihre Konsistenz der von Krebsfleisch, ihr Geschmack ist mild. Man isst sie gemahlen als Pulver, hauchdünn geschnitten und frittiert oder gesalzen und geräuchert oder in der Suppe. Natürlich sind Seegurken auch gesund. Das sagen Chinesen schließlich den meisten Dingen nach, die sie gern essen. Seegurken helfen gegen Arthritis, Gelenkschmerzen und Bronchitis. »Ginseng des Meeres« lautet die Übersetzung des chinesischen Worts für Seegurke. Und natürlich werden Seegurken auch als Aphrodisiakum eingenommen. Seltene Albino-Seegurken sollen sogar Glück bringen. Eine besonders große soll im Juli 1994 vor der Küste Nordkoreas gefunden worden sein, als Kim Jong Il die Nachfolge seines Vaters antrat, was in Nordkorea als gutes Omen galt. In Japan werden Seegurken besungen und in Gedichten verewigt. In China fehlen Seegurken bei keiner anständigen Neujahrsfeier im Menü.
Indonesien, die Philippinen und Singapur sind die größten Exporteure. Manchmal entdeckt man Seegurken bei Ebbe zwischen den Felsen nahe der Oberfläche. Normalerweise kriechen die Tiere tiefer auf dem Grund, in zwanzig bis tausend Meter Tiefe, man muss sie förmlich vom Boden pflücken – wie eine Frucht, so langsam sind Seegurken. Mit ihrem Fang kann ein Taucher 2000 Euro am Tag verdienen. Nach dem ersten Kochen werden sie mit dem Messer aufgeschlitzt, damit sie Wasser verlieren, es können leicht zwei Liter sein. Sie haben keinen Kopf und kein Gehirn, nur einen Mund mit winzigen Tentakeln, die Sedimente, Plankton und darin enthaltene organische Ablagerungen aufnehmen. Einige der über tausend Arten werden fünf bis zehn Jahre alt, manche mehr als eineinhalb Meter groß. Zur Fortpflanzung richten sie sich am Meeresgrund auf, ihre weiche Haut wird plötzlich steif. Das macht sie für die US-Armee interessant.
Zu gern würde das amerikanische Militär Flugzeuge mit elastischer Seegurkenhaut produzieren. Vor zwei Jahren haben Biophysiker auch eine künstliche Hornhaut für Menschen aus dem Kollagen von Seegurken gewonnen. Das Patent wurde angemeldet, weitere Versuche laufen.
Fischzüchter in Maine und Alaska verfüttern die großen, billigeren Seegurken längst an Lachse. In amerikanischen Fitnessclubs und Drogerien bekommt man seit den Neunzigerjahren Seegurken-Pillen, die eine kräftigende Wirkung für den Organismus entfalten sollen. Eine englische Universität untersucht derzeit, ob sich Tumore unter der Einnahme von Seegurken-Pulver zurückbilden, und einige experimentierfreudige Köche in Barcelona sowie der deutsche Drei-Sterne-Koch Nils Henkel, Küchenchef im Restaurant »Dieter Müller«, sind auch schon auf den Geschmack gekommen. Henkel serviert in Bergisch Gladbach »Carpier-Lachs mit safranisiertem Bouillabaisse-Gelee, stachelhäutiger Seegurke mit Sauce von Räucherpaprika auf Olivenöl-Ofenkartoffeln«.
Der Markt in Deutschland ist allerdings unbedeutend, die Seegurke wird hierzulande noch verkannt. Es fehlen reiche Chinesen, die den wahren Wert von Seegurken zu schätzen wissen.
Foto: Oliver Mark