Neulich war ich mit meinem Freund John in dieser übertrieben schicken Hotelbar. John ist Schotte und hat lange in der Musikindustrie gearbeitet, jetzt ist er Schriftsteller, er versteht also was vom Trinken. Weil es früher Abend war, schlug er Martini-Cocktails vor. Vier Anteile Gin, ein Anteil Wermut. »Okay«, sagte ich und warf einen Blick auf die gut sortierte Bar. »Dann aber mit Tanqueray.« John sah mich mit zärtlichem Stolz an, so wie ein Vater seinen Teenager-Sohn ansieht, der ihm gerade berichtet hat, dass er zum ersten Mal flachgelegt wurde.
Und er erzählte, der Hype um abgefahrene Gins sei in London seit fünf Jahren durch, das sei spätestens an dem Tag klar gewesen, als seine Mutter ihm einen pinkfarbenen Gin serviert habe. Beim Trinken habe die ältere Lady aus Glasgow das Gesicht verzogen, und da habe er sie gefragt, was genau sie denn bitte von rosa Alkohol erwartet habe.
Ich fürchte, ich muss jetzt meinen Großvater zitieren. Es wäre auch ganz gut, wenn Sie sich daran schon gewöhnen könnten, denn mein Großvater wird hier häufiger zitiert werden – er war Opernsänger, ein großer Mann von gefährlicher Statur, die Stimme dunkel und hell zugleich, wie ein sachtes Feuer, und er war ein leidenschaftlicher Trinker. Wie viele Menschen, die dem übermäßigen Rausch zugetan sind, starb er viel zu früh und hatte jede Menge halbgarer Theorien auf Lager, um seine Rauschhaftigkeit mit einem philosophischen Überbau zu rechtfertigen. Was ihn einerseits zu einer traurigen Figur macht, andererseits zu einer beeindruckenden Referenzgröße in Sachen Drinks. Hier das Zitat:
»Alkohol muss durchsichtig sein, damit die Leber den Horizont sehen kann.«
Nun. Dieser Satz hat zwei Bedeutungen. Erstens empfiehlt er, nur klare Drinks zu sich zu nehmen. Zweitens sollte jede Zutat von großer Klarheit sein. Zu viele Aromen oder gar Parfum sollten durchs stilistische Raster fallen.
Da sind wir wieder beim Tanqueray. Tanqueray-Gin geht zurück auf das Jahr 1830, er wurde in der Londoner Destille von Charles Tanqueray gebrannt, inzwischen wird in Cameronbridge, Schottland, produziert. Klassischer Gin wird vor allem mit Wacholder und etwas Koriander gewürzt. Die fancy Varianten, die seit gut zehn Jahren den Markt fluten, schmecken außerdem nach Mandel, Minze, Holunder, Piment, Pomelo, Orange, Zitrone, Akazie, Salbei, Lakritz, Ingwer, Jasmin, Rose, Eisenkraut, Muskatnuss, und so weiter und so fort. Schön. Kann man machen. Aber: Warum? Wenn ich Bock auf Obstsalat oder Gebäck oder Wildschweinbraten habe, greife ich zu Obstsalat, Gebäck oder Wildschweinbraten. Wenn mir nach einer beschickerten Nacht mit einem guten Freund ist, greife ich zu Alkohol ohne Fisimatenten.
John und ich waren also am Martini dran. Später, in einer etwas dunkleren Bar, tranken wir Gin & Tonic, natürlich mit Tanqueray. Wir redeten über die Beschädigungen unserer Seelen und darüber, wie daraus gute oder schlechte Kunst entstehen kann, die wiederum unsere Seelenqual lindern oder noch schlimmer machen konnte. Der Tanqueray griff direkt auf unsere Herzen zu, sie wurden offener, klebriger, und es fühlte sich an, als hätte alles einen Sinn. Am Ende der Nacht dachte ich an Amy Winehouse, wie immer, wenn ich so aufgeraut bin. Ich erinnere mich an ein Interview mit ihr, in dem sie auf eine Frage mit so was antwortete wie: Sorry, I’m so tanquerayed. Ich habe oft nach dem Interview gesucht, es aber nirgends gefunden, vielleicht habe ich es also nur geträumt, aber dieser Satz hat sich mir eingefräst, und eines Tages werde ich auch sagen: Entschuldigen Sie, ich habe keine Antwort auf Ihre Fragen, wegen Tanqueray, Sie wissen schon.