Du musst dich einfach gepflegt durch den Tag pegeln«, sagten sie – Leute, die sich mit Schiffsreisen auskennen. »Du musst rauchen«, sagte meine Freundin Yrsa aus Reykjavík, die glaubt, dass Zigaretten gegen alles helfen. »Niemand, absolut niemand nimmt diese Fähre nach Island im November«, sagte meine Freundin Lilja aus Reykjavík, eine Frau mit kristallklarem Verstand.
Nun, da hatte ich längst unterschrieben: für eine Woche auf einem Schiff, das von Dänemark aus die Färöer-Inseln und Island mit Nahrungsmitteln und Medikamenten und allem Möglichen versorgt, zu jeder Jahreszeit, bei jedem Wetter. Ich hatte nur die Worte »Fähre« und »Nordatlantik« gehört und darauf reagiert, wie ich auf jedes potenzielle Abenteuer reagiere: euphorisch. Als ich dann mit einem Koffer voller dicker Klamotten die »Norröna« bestieg, hatte ich Respekt vor der Naturgewalt, bestand aber darauf, unter gar keinen Umständen seekrank zu werden und im Zweifel eben wieder mit dem Rauchen anzufangen. Alles eine Frage des Willens. Wir legten also ab. Ich legte mir eine Art Jack-Sparrow-Gang zu, und nach einer Stunde hatte ich zwei Aquavit und ein Bier im System, weil ich dachte, es sei klug, mir den Gleichgewichtssinn so schnell wie möglich wegzuschießen. Tatsächlich nahmen wir alle den Tipp, sich auf See gepflegt durch den Tag zu pegeln, sehr ernst, die Frage war eigentlich immer nur, womit genau wir jetzt am besten unsere Sinne manipulieren sollten.
Wein kam nicht in Frage, der Weinstock mit seinen tief in die Erde gestreckten Wurzeln passte nicht zur hohen See. Die Schaumkronen auf dem färöischen Bier hingegen erinnerten uns an Neptun, wie er aus dem Ozean auftauchte. Der erfahrene Barkeeper wartete gar nicht ab, bis wir uns entschieden hatten, er stellte uns das Bier einfach hin. Gegen Mitternacht fiel ich in meine Koje und war außerordentlich zufrieden, weil mir fünf Meter hohe Wellen offenbar nichts anhaben konnten, aber als ich am nächsten Morgen versuchte aufzustehen, erlitt ich eine Art Kreislaufzusammenbruch.
Grün um die Nase schlich ich zum Frühstück. Dort saßen einige Leute mit Grün um die Nase an den am Boden festgeschraubten Tischen. Viele fehlten. Ich hörte Sachen wie »schon ziemlich starke Dünung« und »das Schiff rollt ordentlich«, jemand verteilte Reisetabletten für alle, ich nahm gleich zwei. Dann saßen mein Daunenmantel und ich ewig an Deck und fixierten den Horizont, ich versuchte, ihn festzunageln. Er hielt nicht. Ich wankte zur Rezeption und kaufte diese Spezialpillen, die auf dem Festland nicht zu kriegen sind, mit Koffein angereicherte Tranquilizer, ein primitives Antidepressivum. Wir steckten uns das Zeug gegenseitig zu, als wäre es feinstes Kokain.
Von da an gingen in den Gehirnen die Lichter aus, wir hatten nur noch schöne Gefühle, und die Gefühle gerieten durcheinander. Ich war in Watte gepackt, aber hochempfindlich. Ich war taub für die Schiffsmaschinen, hörte aber überall Musik. Mein Kopf war leer, mein Herz voll. November, dunkel und hell zugleich.
Draußen segelten die Möwen, die Färöer-Inseln verschmolzen mit der isländischen Küste, den Wolken, dem Himmel, der Sonne, drinnen servierte der polnische Barmann seine Mai Tais und Mojitos und Cuba Libres. Am Ende tranken wir nämlich das, was Seeleute seit Ewigkeiten trinken, und spielten bis tief in die Nächte skandinavische Saufspiele, bei denen man sich Liebeserklärungen machen muss, bevor man aus einem Schafshorn trinkt, ein alter Wikinger sagte, ich sei sein Sturm. Wir schmiedeten Seelenallianzen und eine besondere Art von Gleichgewicht, gemacht aus Wetter, Wellen, Diphenhydraminhydrochlorid und Rum.