Staub auf der Hausbar

Seit Jahren hat sich unser Autor keinen Drink mehr zu Hause eingeschenkt. Auf einmal macht er es doch, an einem Montagnachmittag. Was ist passiert?

Foto: Maurizio Di Iorio

Eine meiner Lieblingsfilmszenen: Wie Paul Newman in Die Katze auf dem heißen Blechdach mit Krücke und Bademantel am Fenster steht und einen Drink nach dem anderen in sich reinkippt, um nicht mit seiner anstrengenden Frau sprechen zu müssen. Wie er das Glas betrachtet, ja liebevoll streichelt, während Elizabeth Taylor im Unterrock durchs Zimmer geistert, auf ihn einredet und bekennt, dass es ihr nichts ausmache, wenn sie sich hier lächerlich mache, und er ihr antwortet, dass es ihm sehr wohl etwas ausmache, ja dass er sich für sie schäme.

Es gibt diesen Moment in unzähligen Hollywood-Klassikern: Ein Typ – meistens trägt er keinen Bademantel, sondern einen Anzug – kommt nach Hause, wirft seinen Mantel über einen Stuhl, lockert die Krawatte, tritt an ein Servierwägelchen und schenkt sich einen Brandy oder Whisky, auf jeden Fall irgendwas mit Alkohol ein. Der Drink markiert den Übergang von der öffentlichen zur privaten Sphäre, er beendet den Arbeitstag und läutet den Feierabend ein, bei dem der angestellte Mensch endlich aufhören kann, so zu tun, als ob, um in einem Büro einigermaßen zurechtzukommen. Mit dem Drink in der Hand kommt er an, und zwar nicht nur in seinem Zuhause, sondern bei sich selbst. Humphrey Bogart, Clark Gable, Cary Grant, Gregory Peck, in irgendeinem Film steht jeder von ihnen mit einem Drink in der Hand vor einer Hausbar und gibt uns heutigen Menschen eine Ahnung davon, wie man dreinschauen oder auch nur einen Whisky-Tumbler halten musste, um im 20. Jahrhundert als cooler Typ durchzugehen.

Kein Zweifel, wir sind nicht mehr die, die wir waren, vor vierzig, fünfzig, sechzig Jahren

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Natürlich habe ich sie zu imitieren versucht, natürlich bin auch ich gescheitert. Meine Hausbar sieht immer noch hübsch aus, besonders die filigran gravierten Kristallgläser aus Zwiesel, sie ist sogar gewachsen, von ursprünglich fünf auf 18 Flaschen, seitdem ich wegen dieser Kolumne ständig Rum und Whisky geschickt bekomme. Trotzdem hat sie Staub angesetzt, die Flaschen sind seit Jahren halbvoll, ziemlich sicher habe ich Millionen von Aromen auf dem Gewissen, die in meinem Wohnzimmer ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.

Was soll ich sagen? Es funktioniert nicht, es passt nicht, zu mir nicht und zu unserer Zeit auch nicht: Erstens schreibe ich gar nicht im Büro, sondern im Café, zweitens höre ich mal kurz nach dem Frühstück und dann wieder weit nach Mitternacht damit auf, und drittens trinke ich, wenn ich ganz bei mir sein will, keinen schottischen Whisky aus der Hausbar, sondern einen Münchner Spezi aus dem Kühlschrank. Kein Zweifel, wir sind nicht mehr die, die wir waren, vor vierzig, fünfzig, sechzig Jahren. Manche sagen sogar, wir hätten uns weiterentwickelt, seien zivilisierter geworden, weil wir gesünder, achtsamer, rücksichtsvoller lebten.

Ich bin mir da nicht so sicher. Denn was tun wir denn, wenn wir von der Arbeit nach Hause kommen und die Kinder versorgt haben? Ein Schaumbad nehmen, auf ein Peloton-Bike steigen, eine hellgraue Jogginghose anziehen, ein bisschen twittern, uns was vom Koreaner liefern lassen, irgendwas auf Netflix schauen und im Bett so lange auf dem Handy rumtippen, bis wir einschlafen. Ja, wenn ich es mir recht überlege, sind wir so gnadenlos erwartbar und konventionell, dass ich jetzt, also wirklich genau jetzt, an einem Montag um 14:43 Uhr an meine Hausbar trete, ein bisschen den Staub von den Flaschen puste und darüber nachdenke, welche davon mich ein bisschen in Schwung bringen könnte.