Hilfe, was ist das für 1 #Deutsch?

Beim Korrigieren der ersten Aufsätze des Schuljahres stellt Frau W. fest, dass sich in der Ausdrucksweise ihrer achten Klasse etwas grundsätzlich verändert hat.

Illustration: Jan Buchczik

Traditionell lasse ich vor Allerheiligen immer die ersten Aufsätze schreiben – auch um in den Ferien mit Muße und dampfendem Ingwertee korrigieren zu können. Nun waren Ferien und seit drei Tagen ignorierte ich gekonnt den riesigen Stapel auf meinem viel zu kleinen Schreibtisch. Ich drückte mich – vielleicht weil ich ahnte, dass das Thema, das ich den SchülerInnen gestellt hatte, mich einmal mehr in etwas bestätigen würde.

Es lautete: »Die Digitalisierung schreitet voran. Beziehe Stellung zur Einführung von freiem Wlan in allen Klassenzimmern für die SchülerInnen!« Am Mittwoch der freien Woche, Mann und Kind waren außer Haus, überwand ich mich endlich. Ich schlug Lenas Aufsatz auf, las, überflog, klappte wieder zu. Jennifers Aufsatz dasselbe. Dann Erik: »Ich bin für freies Wlan in der #Schule weil dann Recherche geht. Ohne Smartphone hast du heute keine Chance. Mal was nachschauen können im WWW das hat mit Spicken doch nichts zu tun. Man kann sich auch mit #Google und #Wikipedia bilden.« So in etwa ging das vier Seiten lang. Eine Grundschüler-Ausdrucksweise gepaart mit dem, was ich als Hashtag-Deutsch bezeichne.

Irgendwie auch selbst Schuld, das Thema, das ich ihnen gestellt hatte, barg diese Gefahr. Wenn es um das Internet ging, fühlen sich die SchülerInnen schnell aufgefordert, mich in ihrer Freizeitsprache und mit jeder Menge Hashtags davon zu überzeugen, dass #Wlan in der #Schule total swag war. Dass sie so ungezwungen mit mir schrieben, könnte ich natürlich auch als Zeichen einer gewissen Vertrautheit und somit als Kompliment auffassen, aber ich war einfach nur genervt.

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Bei Erik habe ich immerhin verstanden, worauf er hinauswollte. Die Argumentation vieler seiner MitschülerInnen blieb mir dagegen rätselhaft, denn das Hashtag-Deutsch setzt allein auf das Fallenlassen von Stichwörtern. Leider fördern das sogar manche Lehrer, indem sie beim Korrigieren ihr Häkchen genau über die Wörter setzen, die sie hören wollen. Ich bin da strenger: Selbst wenn in einem »Satz« ein wichtiges Stichwort fällt – solange das Drumherum unverständlich und zusammenhanglos ist, belohne ich das nicht, sondern male ein dickes A für Ausdruck an den Rand.

Ich will jetzt nicht technikfeindlich und kulturpessimistisch klingen, aber ich glaube schon, dass diese Veränderung der Sprachkompetenz auch mit den sozialen Medien und dem exzessiven Gebrauch des Smartphones zu tun hat. Briefe sind out, Telefonate sind out, sogar lange Emails sind out, was in ist, ist Whatsapp und damit Kommunikation auf Kurzstrecke. Die erste Frage, die ich immer höre, wenn ich einen Aufsatz schreiben lasse: Wie viele Zeilen müssen wir schreiben? Ja, vielleicht gab es dieses Klagen früher auch, aber Whatsapp hat auch eine Art miteinander zu kommunizieren etabliert, bei der man davon ausgeht, dass der andere irgendwie schon verstehen wird, was man meint... zur Not packt man halt einen Smiley dahinter. Aber das geht in einer Erörterung nicht, Jennifer, Leon, Julian: 👿 👿 👿. Und Aufsätze sind auch kein Posting bei Instagram: #Bildung #Internet #SchuleimNetz #undallesoyeah.

Natürlich darf sich Sprache verändern – das hat mir nicht zuletzt ein sehr schlauer Professor im Studium beigebracht. Was heute die Anglizismen sind, über die sich Sprachpolizisten aufregen, waren früher Vokabeln aus dem Französischen, die inflationär gebraucht wurden. Und meine Güte, dann ist halt der Dativ dem Genitiv sein Tod und es gibt ihn, den Genitiv, in hundert Jahren nicht mehr. Aber die Fähigkeit, Zusammenhänge herzustellen, sich gut und unmissverständlich ausdrücken zu können, Argumente zu formulieren, seinen Standpunkt zu erörtern, ist von zentraler Bedeutung für unser Zusammenleben; und gerade doch in Zeiten von Fake News und einer in politische Extreme auseinanderdriftenden Gesellschaft wichtiger denn je.

Ich blickte auf Eriks Aufsatz, meine vielen Anmerkungen am Rand, und dachte an Herrn Mayer. Als Referendarin bin ich durch eine harte Korrekturschule bei ihm gegangen. Korrigieren muss man nämlich lernen. Satz für Satz haben wir im Seminar diskutiert: Kann man jenes gelten lassen? Wie drücke ich aus, dass Schüler XY auf dem falschen Weg ist? Wieviel darf ich in einen Text hineinschreiben? Auch wenn der Aufsatz des Schülers oder der Schülerin dürftig ist, bleibt er doch sein Produkt, das immer auch gewürdigt werden muss. Deshalb sollte man als LehrerIn zum Beispiel nie etwas durchstreichen. Es muss positiv korrigiert werden, die Anmerkungen zusammengefasst in einem konstruktiven Worturteil am Ende, aus dem der Schüler lernen kann.

Ich packte die Aufsätze auf den Boden und öffnete die Schublade neben mir. Es war Zeit für Karl. Für Notfälle wie diese, wenn meine Frustration einen gewissen Punkt erreicht hat, habe ich eine Lösung: Schüler-Aufsätze, die ich mir aufgehoben und kopiert habe. Schöne Aufsätze. Mit klugen Gedanken. Wie den von Karl zum Beispiel, einem Schüler, der über die Jahre eine Art zu schreiben entwickelt hatte, die imstande war, mich genau jetzt aufzubauen:

»Der Weg zum Kopf muss durch das Herz geöffnet werden.« Dieses Zitat Schillers demonstriert seine Wertehaltung grundlegend. Die Idee, wonach bei einer »schönen Seele« Harmonie zwischen Pflicht und Neigung, also Kopf und Herz, herrscht, formulierte Schiller, nachdem er sich mit Kants Haltung zur Vereinbarkeit dieser scheinbaren Gegenpole auseinandergesetzt hatte. Es entstand der Kerngedanke der Weimarer Klassik. In seinem Gedicht »Hoffnung«, erschienen in der Monatszeitschrift ›Die Horen im Jahr 1797, findet Schiller die perfekte Metapher für seine Idee: Die Hoffnung!«

Karls Einleitung eines Aufsatzes in der elften Klasse zeigte mir, dass auch für meine Achtklässler noch Hoffnung bestand. Ich musste sie einfach noch viel mehr schreiben lassen, beschloss ich, noch viel öfter mit guten Textbeispielen versorgen, sie noch mehr für Wortwahl und eleganten Satzbau entflammen. Ich ging zu meinem Bücherregal und überlegte: Lindgren, Kästner, Tucholsky – was wohl das richtige sei. Ich blätterte und schmunzelte und schwelgte in der Sprache meiner literarischen Helden. Und irgendwann schlug ich eine weiteres Heft auf.