»Bei einem familiären Treffen habe ich meinen Gästen auch eine der letzten Flaschen Rotwein aus eigenem Anbau angeboten. Dieser Rotwein fand bei meinen Freunden höchste Anerkennung. Nun hat die Schwiegermutter meines Sohnes die Angewohnheit, Rotwein grundsätzlich als Schorle zu trinken. So auch an jenem Abend. Meine Partnerin findet, das geht nicht, einen tollen Wein so zu missbrauchen und damit auch meine Arbeit zu diskreditieren. Sie sagte dies deutlich und verhinderte, dass die Gegenschwiegerin sich ihren Wein mixt. Ich aber finde, es steht uns nicht zu, jemanden zu ›erziehen‹. Oder?« Anonym
Natürlich wäre es stilvoller, Rotwein, vor allem guten, nicht verdünnt zu trinken. Er sollte außerdem selbstverständlich die perfekte Temperatur haben und im korrekten Glas serviert werden, wobei unter allen Umständen jemand zugegen sein sollte, der ihn vorab kostet. Diese Person sollte zunächst die Brille abnehmen, um das Etikett in Ruhe studieren zu können. Während sie dann mit geschlossenen Augen den Wein genüsslich im Mundraum bewegt, sollte niemand atmen. Erst wenn der Schluckvorgang vollzogen ist, die Person dem Sommelier kennerhaft zugenickt hat und die Welt sich weiterdreht, führe man sich das Stofftaschentuch an die Stirn, um sich die Schweißperle abzutupfen, die sich dort angesichts der alles entscheidenden Frage gebildet hat, ob er auch ja nicht korkt.
Aber ganz so steif wird es bei Ihnen nicht zugegangen sein. Es war ja ein familiäres Treffen. Und die betreffende Dame trinkt ihren Rotwein grundsätzlich geschorlt. Es war also keine gezielte Herabsetzung Ihrer Arbeit, keine Beleidigung, sondern eine Angewohnheit, die einem zwar unmanierlich vorkommen mag, die aber möglicherweise dem Umstand geschuldet ist, dass sie Alkohol nicht so gut verträgt. Oder sie hat an den Abwasch gedacht und wollte Ihnen nicht auch noch ein extra Wasserglas aufhalsen. Von einem führenden Apfelschorlenexperten aus meinem nahen Umfeld weiß ich, dass Apfelsaftschorle im Grunde nur mit qualitativ hohem (naturtrüben) Apfelsaft überhaupt trinkbar ist. Wer, der noch nie Rotweinschorle gekostet hat, vermag zu sagen, ob nicht auch hier die Qualität des Weines die alles entscheidende Komponente ist? Bitte schenken Sie der Schwiegermutter Ihres Sohnes beim nächsten Treffen, so Sie bis dahin für Nachschub gesorgt haben, von Ihrem Wein ein: Eine bessere Rotweinschorle wird sie bestimmt nirgends bekommen!