Das Demokratie-Dilemma

Eine Bekannte unserer Leserin möchte sich bei der Landtagswahl enthalten, bietet aber ihre Stimme gegen Geld an. Was ist das kleinere Übel für die Demokratie: eine verlorene oder eine gekaufte Stimme?


Illustration: Serge Bloch

»Ich sprach mit einer Freundin über die Landtagswahl im Oktober. Meine Freundin sagte, dass keine Partei sie überzeuge und sie deshalb nicht wählen gehen werde. Das schockierte mich, weil für mich die Möglichkeit zu wählen sehr wertvoll ist und ich eine Verantwortung spüre, Gesellschaft und Kultur in unserem Bundesland mitzugestalten. Auf meine kleine Motivationsrede hin bot mir meine Freundin ihre S­timme gegen Geld an. Jetzt weiß ich nicht, was das kleinere Übel ist: dass sie gar nicht wählen geht oder dass ich sie fürs Wählen bezahle?« Esther H., Frankfurt am Main

Generell sollte man möglichst nie erwarten, dass andere Menschen sich in einer Situation so verhalten, wie man selbst es täte. Das führt zu Enttäuschungen. Menschen sind unterschiedlich, und jeder kann sich das eigene Handeln immer wahnsinnig gut begründen. So wird auch Ihre Freundin überzeugt davon sein, genau das Richtige zu tun, wenn sie diesmal nicht wählt. Die Idee Ihrer Freundin, sich von Ihnen dafür bezahlen zu lassen, entgegen ihrer eigenen Überzeugung zu handeln, ist immerhin praktisch. So hätte wenigstens auch sie etwas davon: Geld.

Ich würde Ihnen aber davon abraten wollen, ihr welches zu geben. Sie sind für die Staatsform der Demokratie, deren große ­Errungenschaft das allgemeine Wahlrecht ist, weshalb Sie so sehr darauf pochen, es auch zu nutzen. Es nimmt einer Demokratie allerdings etwas die Power, wenn die Teilnehmer sich untereinander dafür bezahlen, von ihrem Stimmrecht auch Gebrauch zu machen. Es ist von Ihnen sehr gut gemeint, im Sinne der Demokratie, führt aber in eine komische Richtung. Sie können schließlich nicht jeden, der nicht wählen will, mit Geld umstimmen. Dabei wäre das demokratisch: gleiches Recht für alle.

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Und, mal weitergedacht, würden Sie denn auch etwas mehr dafür zahlen, wenn Ihre Freundin eine Ihnen genehme Partei wählt? Weil: Wenn man eh schon zahlt, warum dann nicht gleich fürs ganze Paket? So läuft das doch in der Regel: Wer zahlt, bestimmt. Aber führt das nicht letztlich zur Abschaffung der Demokratie? Sie sehen, die gute Absicht führt hier recht schnell in eine ­falsche Ecke. Behalten Sie lieber Ihr Geld. Sie haben getan, was Sie konnten. Vielleicht überlegt es sich Ihre Freundin ja doch noch mal anders. (Sie scheint ja innerhalb ihrer Überzeugungen recht flexibel zu sein.)

Bei einem zweiten Darüber-Nachdenken: Für wie viel wäre Ihre Freundin denn zu haben?