Wer starrt hier wen an?

Das Paar aus dem Nachbarhaus erscheint alle 20 Minuten  auf dem Balkon, um zu rauchen. Unsere Leserin fühlt sich von den beiden beobachtet – und zieht im Wohnzimmer nun immer die Vorhänge zu. Was tun? Unsere Kolumnistin weiß Rat.

Illustration: Serge Bloch

»Im Nachbarhaus wohnt ein Paar, das sich etwa alle 20 Minuten zu zweit auf den Balkon zum Rauchen setzt. Vor allem die Frau starrt zu uns herüber und verfolgt jede Bewegung, die wir im Garten machen. Wir haben Bäume als Sichtschutz gepflanzt, doch es ist nicht möglich, alle Sichtachsen zu verdecken. Offensives Zurückstarren hilft auch nicht. Auch unser Wohnzimmer ist vor ihren Blicken nicht sicher. So machen wir nun immer den Vorhang zu, aber dadurch wird es recht dunkel im Raum.« Ramona S., Regensburg

Bei Sartre heißt es: Die Hölle, das sind die anderen. Bei Ihnen müsste man leider sagen, dass Sie selbst Ihre eigene Hölle sind. Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber es klingt eher, als seien Sie besessen von Ihrer Nachbarin und nicht umgekehrt. Sie haben Bäume gepflanzt, stecken Energie ins Zurückstarren, halten sich gegen Ihren Willen in abgedunkelten Räumen auf – und: Sie lassen diese Frau offenbar nicht aus den Augen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die ahnt, welche Verwüstungen sie in Ihrem Leben anrichtet. Indem sie einfach lebt und sich nicht die Hände vor die Augen hält, wenn sie auf ihrem Balkon ist. Mache ich es mir zu einfach mit dieser Umkehrung der Geschichte? Es wird Ihnen halt leider nichts nutzen, bei Ihrer Sichtweise zu bleiben. Sie werden sonst noch eines Tages den Heizungskeller nicht mehr verlassen, aus Hass auf die vermeintlichen Blicke von nebenan. Das gilt es zu vermeiden!

Was das Praktische angeht, möchte ich Ihnen vorschlagen, sich mit Vorhangstoffen bekannt zu machen. Es gibt halbtransparente Gardinen, die Licht in Räume lassen und dennoch als Blickschutz dienen. Dann wäre wenigstens schon mal die Dunkelheit von Ihnen genommen. Ansonsten kann ich Ihnen nur raten, wenn Sie nicht in ein Haus ohne direkte Nachbarn ziehen wollen, eine andere innere Einstellung zu dieser Frau zu finden. Sie müssen Ihren Hass von ihr nehmen. Sie haben die Macht dazu. Steht Ihnen Humor zur Verfügung? Wenn ja, nutzen Sie ihn! Stellen Sie sich die Situation als Komödie vor, und die Frau neben Ihnen ist Doris Day, zwar meinetwegen ziemlich neugierig, aber nicht bösartig. Winken Sie ihr in Gedanken so oft lachend zu, bis Ihnen langweilig wird und Sie die Nachbarn total vergessen. Und selbst wenn die Sie mal nackt beim Eierlaufspiel durch Ihre Küche rennen sähen, was kann Ihnen das schon?