Was werden sie singen, 16 Tage lang? Noch ist die Stimmung nur gut, bald wird sie ausgelassen sein.
An einem Dienstag um 13.12 Uhr ist Köbeles Suche beendet. Er putzt gerade die Küche. Das Lied dringt aus dem Lautsprecher seines Flachbildschirmfernsehers und durch den Türvorhang aus Perlen, der Köbeles Wohnzimmer von der Küche trennt. Es läuft ARD. Mit dem Schwamm in der Hand hält Köbele inne und lauscht. Der Text ist deutsch, die Melodie eingängig, sie basiert auf einem Kinderlied: G-Dur, C-Dur, D-Dur, G-Dur. Zwei Tage zuvor hat Deutschland das Finale der Fußball-Weltmeisterschaft gewonnen, die ARD sendet jetzt live von der Siegesfeier am Brandenburger Tor. Köbele geht rüber ins Wohnzimmer und stellt sich vor den Fernseher. Es ist der 15. Juli, und Köbele weiß nun endlich, was der Wiesnhit 2014 wird.
Wolfgang Köbele ist 58 Jahre alt, muskulös, braun gebrannt. Wenn er spricht, klingt er wie ein Westernheld mit dem Dialekt von Franz Beckenbauer. »Wenn du an Wiesnhit verkündn kannst«, sagt er, »ist das die Krönung.« Köbele ist Bandleader der Münchner Zwietracht, einer der ältesten und bekanntesten Kapellen auf dem Oktoberfest, die zwanzig Jahre lang im »Hippodrom« gespielt hat, dem Promizelt gleich am Eingang zur Festwiese. Im März wurde dessen Wirt wegen Steuerhinterziehung verurteilt, also spielt die Münchner Zwietracht dieses Jahr an derselben Stelle im neuen Promizelt, dem »Marstall«. Seit Jahren rufen die Journalisten der Zeitungen und Radiosender ihn kurz vor dem Anstich an und stellen die immer gleiche Frage: »Wolfgang, was wird dieses Jahr der Hit?« Denn Köbele gilt als Experte, als Kurator der perfekten Festzeltmusik. Die meisten Musiker auf der Wiesn sind Amateure, die sich dafür zwei Wochen Urlaub nehmen. Die Münchner Zwietracht aber spielt hundert Konzerte pro Jahr, wird bis nach Südkorea gebucht, hat mehr als ein Dutzend CDs herausgebracht, macht 400 000 Euro Umsatz im Jahr und tritt beim Hüttenzauber auf Sat.1 und bei Karnevalissimo im ZDF auf. Für Köbele und seine Band endet das Oktoberfest nie. Wenn es also ein Lied gibt, das in diesem Jahr alle Wiesnkapellen spielen, weil die Leute es verlangen, dann weiß er es normalerweise als Erster.
Köbeles Liebe gilt eigentlich der brasilianischen Musik, mit zwanzig gründete er seine erste Bossa-Nova-Band. Später finanzierte er sein BWL-Studium mit Konzerten in Schwabinger Clubs, studierte Gitarre und Bass – und kam Anfang der Achtzigerjahre zur Helmut Högl Band, die im »Weinzelt« als eine der ersten Popmusik spielte statt Blasmusik. Dabei ist er dann geblieben. Von Februar bis September hört Köbele unablässig Radio. Sein Autoradio ist auf Bayern 3 gestellt, das in der Küche auf Antenne Bayern. Wenn er auf Tournee ist, sind es je nach Bundesland SWR3, hr3 oder Ö3. Die »Dreier-Programme«, wie er sie nennt, sind seine wichtigsten Quellen. Weil da Musik läuft, die von Marktforschern streng nach Beliebtheit zusammengestellt wird, maßgeschneidert auf die Hörgewohnheiten des Durchschnittsdeutschen, der sich im Berufsverkehr über »den besten Feierabend-Mix« freuen soll. Zusätzlich unterhält sich Köbele mit Hüttenwirten und Musikproduzenten, an seinem Computer klickt er sich alle paar Tage durch die Hitparaden der Schlagerwellen und die Charts in der Schweiz und auf Mallorca. Könnte das jetzt der nächste Wiesnhit sein? Köbele ist wie der Fußballscout, der bei jedem Jugendturnier auf der Tribüne sitzt.
Um Punkt zwölf Uhr am ersten Wiesnsamstag wird der neue Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter im »Schottenhamel«-Zelt einen Zapfhahn ins erste Bierfass hämmern und das größte Volksfest der Welt eröffnen, und kurz danach wird Wolfgang Köbele seine Beweisführung beginnen. Er wird das Lied spielen, das er nun für den neuen großen Wiesnhit hält, und er wird sehen, ob er Recht behält, ob die Menschen es in sich aufnehmen und wieder herausgrölen. Die Oktoberfeste 2012 und 2013, findet Köbele, sind da nicht so besonders gewesen. Okay, Tage wie diese von den Toten Hosen wurde 2013 oft gespielt, auch Applaus, Applaus von den Sportfreunden Stiller, aber für Köbele waren diese Lieder keine Hits, eher »Aspiranten« – ein echter Wiesnhit bleibt mehrere Jahre im Programm, er wird zur Hymne mit zuweilen gesellschaftspolitischer Bedeutung.
April 2014: Köbele sitzt im Fond eines VW-Busses und zieht das erste Fazit der
Saison. Der Bus steckt im Stau auf der Autobahn Richtung Bielefeld. Mit der »Frühlingswiesen« in der Bielefelder Stadthalle startet heute die Saison. Ein paar Tage darauf beginnt das Münchner Frühlingsfest, die nächsten 16 Tage werden Köbele und seine Kollegen täglich auftreten – der erste Testlauf für mögliche neue Hits. Köbele hat einen Klapptisch aus Hartgummi vor sich, darauf liegen sein iPad und eine zerknitterte Landkarte, für den Fall, dass sie dem Stau ausweichen müssen. Köbele fährt mit dem Zeigefinger über den Touchscreen, Hunderte Songtitel sausen von unten nach oben. Er hat alles gespeichert, Titel, Interpreten, Noten, Arrangements neuer Lieder. Der Ordner wächst. Im Moment hat er Ma Cherie von DJ Antoine im Testlauf, ein schlichtes Dance-Stück mit einer Akkordeon-Linie im Refrain, die man stundenlang nicht aus dem Kopf bekommt. »Spannende Mischung aus modern und volkstümlich«, sagt Köbele. Zweimal haben sie die Nummer bisher vor Publikum getestet, »und ja, es groovt schon ganz gut. Aber nur grooven ist halt zu wenig für einen Wiesnhit«.
Eigentlich hören die Leute gar nicht die Band, sondern nur, was am Nachbartisch gesungen wird.
Bretter, die den Rausch bedeuten: Wolfgang Köbele, Bandleader der Münchner Zwietracht, im »Marstall-Festzelt«
Es geht darum, das perfekte Lied mit der perfekten Melodie und dem perfekten Text zu finden, um die einzigartige Münchner Festzeltstimmung zu erzeugen, diese eigentümliche Mischung aus Rockkonzert, Fernsehgarten und Fankurve. Massentauglich muss es natürlich sein, der größte gemeinsame Nenner von Hunderttausenden angetrunkenen Menschen in Tracht, nur dann wird das Bier hektoliterweise getrunken, nur dann stehen alle auf den Bänken und singen, die Handwerker und die Unternehmensberater, die schicken Schönheiten und die Jugendlichen. Diese Stimmung ist der Markenkern von Köbeles Unternehmen. Denn das Bierzelt ist ein merkwürdiger Kosmos: Einerseits wird seit zwanzig Jahren zuverlässig Skandal im Sperrbezirk von der Spider Murphy Gang und Fürstenfeld von STS gefordert, andererseits will das Publikum, das über die Jahre immer jünger geworden ist, auch zeitgemäß unterhalten werden. Und das ist nicht als höfliche Bitte zu verstehen. »Wenn 4000 Betrunkene ein Lied grölen, und du als Band steigst nicht drauf ein, gibt’s Randale«, sagt Wolfgang Köbele. »Dann kannst du vor den Brezenstücken in Deckung gehen.«
Das Geschäft mit der Musik wandelt sich. Plattenfirmen setzen mit erfolgreichen Liedern immer weniger Geld um. Dafür kann heute jeder einen Welthit auf seinem Laptop komponieren. Ein Wiesnhit, der während des Oktoberfests ja nicht nur in den Zelten, sondern auch alle fünf Minuten im Radio läuft, kann einen über Nacht sehr wohlhabend machen. Im vergangenen Jahr nahmen sechs Münchner Studenten ein zwanzig Jahre altes Lied neu auf, dachten sich eine Choreografie dazu aus, die ein bisschen an Schuhplattler erinnert, und organisierten zu Werbezwecken Flashmobs in Einkaufszentren. Zur Wiesn spielten dann fast alle Zeltbands ihr Lied Rock mi, auch die Münchner Zwietracht. Die Studenten traten mehr als fünfzig Mal im Fernsehen auf, ein halbes Jahr nach dem Oktoberfest nahm Florian Silbereisen sie mit auf Tournee. Wegen solcher Geschichten bekommt Köbele in den Monaten vor dem Oktoberfest jede Menge Post von Hobbymusikern. »Grüß Gott, sehr geehrter Wolfgang Köbele, hiermit sende ich Ihnen …« und so weiter.
»Dabei bringt’s ja nix«, sagt Köbele, »alles nette Ideen«, aber er als Kapellmeister habe nicht die Macht, ein Lied zum Oktoberfesthit zu machen, »nein, es muss schon ein Hit sein, bevor es auf der Wiesn funktioniert.« Was vor allem an der Lautstärke im Zelt liegt: Keine Band darf lauter als 95 Dezibel spielen, das ist bei 7000 Gästen im Zelt geradezu lächerlich leise. Eigentlich hören die Leute gar nicht die Band, sondern nur, was am Nachbartisch gesungen wird. »Und deshalb«, sagt Köbele, »muss jeder sofort mitsingen können, und zwar bei jedem Lied und egal, ob du eine oder fünf Maß getrunken hast.«
Damit ein Lied diese Voraussetzung erfüllt, muss es eine lange Reise absolvieren. Oft startet sie schon im Winter, bei den Après-Ski-Partys in den Alpen. Anton aus Tirol beispielsweise, einer der größten Wiesnhits der vergangenen zwanzig Jahre, wanderte im Winter 1999 nach der Skisaison von Österreich aus über den Kölner Karneval zu den Frühlingsfesten und in die Fankurven der Bundesliga. Der Nachfolger Hey Baby wurde auf dem Ballermann bekannt, das Lied brannte sich den Deutschen im Vollrausch ein. Im Laufe des Oktoberfests nahmen Radiosender das Lied dann in ihre »Heavy Rotation«, das heißt, es wurde deutschlandweit rund 1000 Mal pro Woche gespielt. Nach der Wiesn landete Hey Baby in 17 Ländern auf Platz eins der Charts,
darunter Großbritannien, DJ Ötzi wurde ein reicher Mann – und Wolfgang Köbele, Herrschaftszeiten, hatte das nicht kommen sehen.
DJ Ötzi hatte das Lied den ganzen Sommer über live auf Mallorca gespielt, doch bis zum Oktoberfest hatte ihn keiner der großen Radiosender im Programm. Hey Baby war unter dem Radar des Massengeschmacks hindurchdurchgeflogen – bis zum ersten Tag des Oktoberfests. Da hörte Köbele auf einmal hunderte Gäste im »Hippodrom« den Refrain singen, schon mittags, bevor die Band zum ersten Mal die Bühne betreten hatte. Ein Alptraum für Köbele: Er hörte dieses Lied – und kannte es verdammt noch mal nicht. Noch am selben Abend rannte er in die CD-Abteilung von Saturn an der Theresienwiese, kaufte die Single und legte sie in den CD-Player des Tourbusses eins: G-Dur, E-Moll, A-Moll, D-Dur, der Sänger schrieb den Text mit, das Keyboard machten sie zu einem Akkordeon, das Schlagzeug einen Tick schleppender, die Gitarre ein bisschen verzerrter, damit das Lied noch ansteckender, mitreißender, hymnischer wurde. Am nächsten Tag spielten sie Hey Baby, ohne es geprobt zu haben. Und sie spielten es an allen darauffolgenden Tagen, 14 Jahre lang, bis heute. Das Publikum hat seinen Hit damals »gefordert«, sagt Köbele. Es hatte ihn überrumpelt.
Noch mal soll ihm das nicht passieren. Montagmorgens findet Wolfgang Köbele zwei Newsletter in seinem E-Mail-Postfach: die Auswertungen der vergangenen Kalenderwoche. Es sind Tabellen mit den Hitparaden aller Schlagersender Deutschlands, von der Saarlandwelle bis zu Radio Paloma, außerdem sämtliche Radiocharts »Deutsch Volkstümlich«, »Deutsch Konservativ« und »Deutsch Rock« sowie die Top 40 der österreichischen, schweizerischen und belgischen Charts. Sie sind die Absicherung, dass er einen Hit wie Hey Baby das nächste Mal vorher wittert.
Anfang Juni 2014. Noch gut drei Monate bis zum Oktoberfest. Köbele sitzt an seinem Esstisch neben dem abgewetzten Konzertflügel, vor sich eine Tasse Espresso ohne Zucker und vier bedruckte DIN-A4-Seiten. In ein paar Tagen spielt seine Münchner Zwietracht bei der Jahresversammlung eines Computerherstellers in Las Vegas, Köbele plant jetzt die Reihenfolge der Songs. Den Ablauf des Festzeltkonzerts hat er über zwanzig Jahre hinweg zur Perfektion gebracht: vier Stunden, aufgeteilt in drei Blöcke, die Stimmung steigt und fällt wie eine Welle, nur stagnieren darf sie nicht. Von den großen Hits spielt er nur den Refrain und die erste Strophe, »der Rest interessiert keinen«. Beim Dreivierteltakt schunkeln die Leute, beim Zweivierteltakt klatschen sie, aber die Schunkel- und Mitklatschlieder spielt er nie länger als neunzig Sekunden, »sonst wird’s für die Leute unangenehm«. Nur ein paar Stellen sind flexibel, dort kann Köbele neue Lieder ausprobieren. Ma Cherie von DJ Antoine hat er wieder aus dem Programm genommen. »Zu abgenudelt«, sagt er. Wenn ein Hit den ganzen Frühling und Sommer über rauf und runter läuft, kann man ihn im Herbst nicht mehr hören.
Seit zwei Wochen testet Wolfgang Köbele einen Schlager, Atemlos durch die Nacht von Helene Fischer. »Ein hoffnungsvoller Aspirant«, sagt er, aber er wirkt nicht zufrieden. Weil das Stück im Original von einer Frau gesungen wird, muss der Trompeter singen, er hat die höchste Stimme. »Natürlich nicht optimal«, sagt Köbele, »aber um das Lied kommen wir wohl nicht rum.« Er hat es auf der ersten DIN-A4-Seite im unteren Drittel platziert. Strategisch gut gelegen direkt vor dem dritten »Prosit« des Abends.
So gesehen ist Köbeles Suche nach dem Hit immer auch ein Abtasten der deutschen Befindlichkeit.
Auf dieser Bühne spielt die Münchner Zwietracht für 3200 Gäste.
Denn Musik machen und Lieder singen, das ist ja nur vordergründig die Aufgabe einer Zeltband, die eigentliche Aufgabe liegt darin, den Bierkonsum zu maximieren. Jedes Mal, wenn der Sänger von der Bühne herab »Die Krüge hoch!« ruft, steigen die Bierbestellungen sprunghaft. Auf ein »Prosit« trinkt jeder Mensch im Zelt durchschnittlich 100 Milliliter. »Macht bei 3000 trinkenden Gästen 300 Liter Bier in drei Sekunden.« Insgesamt sollen auch dieses Jahr wieder um die sieben Millionen Maß Bier auf der Wiesn verkauft werden. Allerdings wünscht sich die Stadt München neuerdings mehr bayerische Tradition und erlaubt den Wirten fünf Dezibel mehr, wenn sie Blasmusik spielen. »Aber mit Blasmusik verkaufen die nur Essen. Bier trinken die Leute erst, wenn es richtig poppig wird«, sagt Toni Roiderer, der Sprecher der Wiesnwirte.
Juli 2014: Elf Tage sind vergangen, seit Köbele beim Putzen auf seinen Hit gestoßen ist. Der Schlager-Newsletter meldet: »Gilbert behauptet mit Durchgebrannt die Spitzenposition, Nicole gelingt mit Afrika der Sprung auf Rang 2.« Für Köbele ist nichts dabei, das seine Hitprognose ins Wanken brächte. Die Fußball-Weltmeisterschaft hatte viel Potenzial, Jennifer Lopez und Shakira hatten eigene WM-Lieder veröffentlicht, doch so richtig durchgesetzt hat sich in Deutschland dann nur diese Hymne von Andreas Bourani mit dem Titel Auf uns. Die ARD spielte sie vor und nach jeder Liveübertragung ein. »Aber für die Wiesn nicht ideal«, sagt Köbele. Zu viel Pathos, zu wenig Schwung, zu wenig albern auch. Dabei sind Großereignisse eigentlich verlässliche Lieferanten für Wiesnhits. Nach der WM in Südafrika 2010 landete Shakiras Waka Waka aus dem Stand in den Bierzelten. Das Stück kombinierte sommerliche Rhythmen mit einem Refrain, den kein Mensch verstand, aber jeder mitsingen konnte. Weil Lena Meyer-Landrut im selben Jahr den Grand Prix gewann, wurde ihr Lied Satellite ebenfalls zum Wiesnknüller. Und als man 2009 sogar auf Bayern 3 über Heidi Klums jährliche Topmodelsuche lachte, parodierte der Moderator Chris Boettcher sie mit dem Song Zehn Meter geh’ und landete einen kleinen Wiesnhit. So gesehen ist Köbeles Suche nach dem Hit immer auch ein Abtasten der deutschen Befindlichkeit.
Ende Juli: Köbele steht mit nacktem Oberkörper hinter der Bühne eines Festzelts irgendwo im Odenwald. Die örtliche Brauerei hat das Zelt aufgestellt, es regnet, drinnen sammelt sich Kondenswasser an den Zapfhähnen. Köbele schiebt die weiße Plane ein Stück zur Seite und späht ins Zelt. Grauhaarige Männer mit bunten Brillengestellen und Frauen mit schaumgefestigten Frisuren sind bei der dritten Maß, Köbele kann das mit wenigen Blicken abschätzen. Gleich steigt er zum letzten Mal vor der Sommerpause auf die Bühne. Danach geht die Herbstsaison los. Wenn Köbeles Prognose stimmt, muss sie sich heute bewähren.
An dem Tag, an dem er den Hit entdeckt hatte, sah er abends noch mal fern. Nachrichten. Wieder die Bilder von der Rückkehr der Nationalmannschaft aus Brasilien, der Siegesfeier am Brandenburger Tor, dem Auftritt von Helene Fischer im Deutschlandtrikot – und wieder ein Lied, das Mario Götze, Miroslav Klose, Toni Kroos, Shkodran Mustafi, André Schürrle und Roman Weidenfeller auf der Bühne gesungen hatten. Sie bückten sich, während sie sangen, dann richteten sie sich auf und streckten sich in die Luft.
Der »Gaucho-Tanz« spaltete tagelang die Nation: Zeitungen schrieben entsetzt von der spöttischen »Herrenmenschengeste«, argentinische Polemiker beschimpften die Deutschen als Nazis, auf Twitter wiederum spotteten Fußballfans über pikierte Feuilletonisten, die offenbar noch nie in einem Stadion gestanden hätten, wo das Lied seit Jahren gesungen wird. Es handelt sich um eine Abwandlung von Zehn kleine Negerlein. Köbele freute sich. Das Lied und der dazugehörige Tanz sind perfekt fürs Oktoberfest. »Und durch den Streit kennen achtzig Millionen Deutsche dieses Lied«, sagt er. »So viele erreichst du mit keinem Nummer-eins-Hit.«
Köbele sprüht sich Deo auf den Oberkörper und schlüpft in sein weißes Trachtenhemd. Als er die Wadenwärmer zurechtrückt, setzt draußen im Zelt ein Chor aus hundert Stimmen an. »So geh’n die Gauchos, die Gauchos, die geh’n so!« Köbele hält inne, lauscht und grinst.
(Fotos: Bert Heinzlmeier, Fritz Beck)