Der Preis des Überlebens

Wir stellen Ihnen jede Woche junge, talentierte Fotografen vor. Diesmal: Ziyah Gafić, der als Kind den Bosnienkrieg miterlebte und über ein Jahrzehnt die Opfer von Völkermorden dokumentierte.

Name: Ziyah Gafić
Geboren: 1980 in Sarajevo, Bosnien
Ausbildung: Autodidakt
Homepage: www.ziyahgafic.ba

SZ-Magazin: Herr Gafić, als Kind wurden Sie Zeuge des Genozids in Bosnien. Sie mussten den Tod und das Verschwinden vieler Angehöriger miterleben und verbrachten Ihre Jugend im zerstörten Sarajevo - wie persönlich ist Ihr Projekt “Troubled Islam“?
Ziyah Gafić: Krieg gehört zu den Dingen, die man sich nicht aussucht. Manchmal geht daraus allerdings auch eine besondere Perspektive hervor, eine, die die Ohnmacht der Opfer kennt. Ich war erst 15 und schon Zielscheibe der serbischen Scharfschützen und der Medien. Mit dem Blick durch das Objektiv meiner Kamera habe ich die Seiten gewechselt, ich war nicht mehr handlungsunfähig. Diese Erfahrung hat mich und meinen  Zugang zur Fotografie entschieden beeinflusst. “Troubled Islam“ ist deshalb eine persönliche Suche, die mich durch eine Welt voller Gewalt und atemberaubender Schönheit führt. Ich wollte ein Muster erforschen, das Länder mit einem wahrnehmbaren Anteil muslimischer Bevölkerung alle samt gemeinsam haben: Kriege zwischen Brüdern, ethnische Säuberungen und Völkermord. Oft geht es dabei nur um die Ressourcen der jeweiligen Länder. Traurigerweise wird mein Projekt niemals enden, weil sich diese Muster bis in alle Ecken unseres Planeten erstrecken.

Wie hat das Fotografieren dazu beigetragen, Ihr Erlebtes zu verarbeiten?
Genau wie beim Schreiben, erzählen meine Fotografien eine Geschichte. Dieses Nacherzählen kann lebensrettend sein. Scheherazade hat durch ihre Märchen überlebt, Bilder zu machen, hält mich auf den Beinen.

Ihre Arbeit in Bosnien konzentrierte sich auf die Identifizierung der menschlichen Überreste der Verschwundenen: Wie geht eine Gesellschaft mit so viel Ungewissheit um?
Das hört sich jetzt pathetisch an, aber die Verarbeitung der Vergangenheit ist die wichtigste Prämisse für die Zukunft. Eine Gesellschaft, die es nicht schafft, ihre Altlasten abzulegen, kann nicht vorankommen.

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Sie sind selbst Muslim und haben Ihre Arbeit “Troubled Islam“ genannt. Welche Rolle spielt die Religion?
In Zeiten nach dem 11. September 2001 werden muslimisch geprägte Länder immer noch als Hauptquelle für den internationalen Terrorismus betrachtet. Als europäischer Muslim stehe ich in der Verantwortung die Geschehnisse in diesen Ländern zu dokumentieren. “Troubled Islam“ ist deshalb aber kein ausschließlich religiöses Projekt – es soll vielmehr eine Chronik normaler Menschen in Ausnahmesituationen sein.

Sie bereisten Bosnien, den Irak, Kurdistan, Afghanistan, Palästina, Israel, Ossetien, den Libanon, Tschetschenien und Pakistan - wonach suchen Sie Ihre Ziele aus?
Ich folge schlichtweg den sich entwickelnden Konflikten. Die letzte Geschichte war die Flüchtlingskrise in Pakistans nordwestlicher Grenzprovinz.

Können Sie kurz erklären, warum die Bilder aus dem zerstörten Grosny, Tschetschenien, den Titel “Der gruseligste Ort der Welt“ tragen?
Meine Aufnahmen habe ich ohne Erlaubnis gemacht. Ich war illegal in einer sehr gefährlichen Stadt und konnte die meiste Zeit meines Aufenthaltes, trotz der beruhigenden Wirkung von russischem Wodka, nicht schlafen.

Gibt es interkulturelle Gemeinsamkeiten im Umgang mit den Nachwehen des Krieges?
Der amerikanische Regisseur Terrence Malick ließ einen seiner Filmcharaktere mal sagen: “Krieg adelt die Menschen nicht, sondern verwandelt sie in Hunde und vergiftet die Seele.“ Genau das passiert mit Gesellschaften, die den Krieg miterlebt haben – und es passiert auch mit den Fotojournalisten.

Ihr Projekt begann 1999 und wurde jetzt vorerst von Ihnen beendet. Hat die 13 Jahre andauernde Konfrontation mit weltweiten Völkermorden eine Narbe hinterlassen?
Es hat mich stark verändert – auch im Guten. Ich musste aber letztendlich begreifen, wie zerstörerisch es war und wie limitiert meine Reichweite war. Deshalb habe ich es abgeschlossen – hoffentlich rechtzeitig. Mehr kann Ihnen mein Therapeut erzählen (lacht).

Gibt es einen Fotografen zu dem Sie aufschauen?
Ja – der Brite Paul Lowe war eine Art Mentor für mich. Eines seiner Bilder ist mir immer im Gedächtnis geblieben – das der blutigen Fußspuren im Schnee von Grosny. Lowe hat mich zur Fotografie gebracht und das lange bevor wir Freunde wurden.

Vielen Ihrer Kollegen missfällt die Kategorisierung als Kriegsfotograf – wie geht es Ihnen mit diesem Begriff?
Vergleichsweise ist die Fotografie ein sehr junges Medium, dem es noch oft an adäquatem Vokabular fehlt. Schon Susan Sontag hatte festgestellt, dass das chronisch gewordene Fehlen von präzisen Begriffen, dazu verführte, Ausdrücke, die mit dem Krieg und seiner Maschinerie in Verbindung gebracht werden, zu adaptieren. Ein Beispiel wäre hier: “Aim, frame, shoot.“, “Zielen, rahmen, schießen.“ Das gleiche gilt für den „Kriegsfotografen“ – geht er nur in den Krieg um Bilder zu machen? Hier müssen neue Bezeichnungen her.

In der Einleitung Ihrer Arbeit halten Sie fest, dass Sie mit Ihren Bildern Anteilnahme beim Betrachter regen wollen. Erreicht Fotojournalismus heutzutage noch das Publikum?
Mein Mitgefühl ist alles, was ich habe. Manchmal fühle ich, das jeder weitere Tag Arbeit den verbleibenden Rest Anteilnahme in mir auslöschen könnte. Trotzdem fühle ich mich dazu verpflichtet, bedeutungsvolle Geschichten zu machen. Mit Sicherheit ist der Markt übersättigt mit Kriegsfotografien und deshalb wird es unsere Aufgabe sein, Wege zu finden, dem Publikum neue Zugänge zu verschaffen.

Frankreich hat gerade ein Gesetz verabschiedet, das das Leugnen von Genozid unter Strafe stellt. Die Armenier waren erleichtert, die Türkei empört. Hat Frankreich einen Schritt in die richtige Richtung getan?
Das Ganze muss aus der Perspektive der bevorstehenden Wahlen in Frankreich betrachtet werden. Diese Doppelstandards sind eurozentrisch. Warum gibt es kein Gesetz, dass die Verleugnung des Völkermordes in Ruanda oder in meinem Heimatland Bosnien sanktioniert? Beides sind Völkermorde, die vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verhandelt wurden. Gerechtigkeit muss allen widerfahren, aber das bleibt wohl nur die romantische Vorstellung eines Fotografen.