Folge 23: Maria und Josef

Mit dem deutschen Familienbild hatte sich unsere Kolumnistin gerade arrangiert – da tauchen auf einmal zwei italienische Gastschülerinnen in ihrem neuen Alltag auf. Und die staunen, dass man »auch so« leben kann.

Im Christgeburtsspiel die Mutter Maria geben zu dürfen war die Krönung meiner Kindergartenzeit. Ich trug einen blauen Umhang, um den Kopf einen Reif aus Goldfolie und saß auf einem Schemel zwischen Josef und den Hirten, die im Stall stehen mussten. Die Arme hatte ich zu einem Rund geformt, in dem das imaginäre Kind lag. Kerzen brannten, das Spiel fühlte sich ziemlich bedeutsam an. Muttersein, habe ich früh begriffen, muss das ganz große Ding sein.

Ist es, nur wird die Rolle ständig umgeschrieben. Und das hat einem keiner gesagt. Kaum habe ich verstanden, dass ich auf einem Schemel sitzen und das Kind schützen soll, kaum mache ich das gut, das Auf-dem-Schemel-sitzen, heißt es: Okay und danke, probieren wir das im Stehen. Und Maria, guck doch mal, wie das mit zwei Kindern wäre. Beug dich tief über die Krippe und sei überrascht, damit hast du nicht gerechnet. – Und wenn ich sehr gut darin bin, überrascht in die Krippe zu gucken, sagt jemand, danke, ab jetzt bitte ohne Josef.

Der Anruf kommt an einem Donnerstag. Es ist Jan. Ob ich Bescheid wüsste, die Italienerinnen. Ich verstehe nichts. Jan erklärt, dass römische Austauschschülerinnen kämen, zwei, dass er sie eingeladen habe, jetzt aber der Rhythmus verschoben sei, die Kinder also bei mir wären und damit auch die Römerinnen, sonst mache das ja alles keinen Sinn. Für einen Moment habe ich schlechte Laune, aber ich bin fest entschlossen zu improvisieren. Zwei Tage später ruft die Deutschlehrerin aus Rom an, sie fragt, wie ich lebe. Ich erzähle von meinem Teilzeitmutterdasein und die Frau sagt, sie würde mir L. und G. schicken, aufgeweckte Mädchen, die seien 13 und fänden es sicher spannend, dass man so auch leben könne. Was heißt so? frage ich. Na, eben ohne Vater, antwortet die Lehrerin. Ich würde mich gerne ein wenig auf einen Schemel setzen, aber von mir wird anderes erwartet.

Meistgelesen diese Woche:

Italienische Mütter verwöhnen ihre Kinder, sagt eine Bekannte, allen voran die römischen. Ich kaufe ein. Die Tüten sind so schwer, dass ich sie nach drei Häusern absetzen muss. Sechs Tage lang rase ich abends nach Hause, koche, stürze Reis aus Schälchen und richte Gemüse an. Vier junge Mädchen nehmen es hin. Ich schenke mir ein Glas Wein ein und proste ihnen zu. Sie schauen verunsichert, aber niemand sagt: Okay, danke, jetzt machen wir das noch mal ohne Wein, Mütter trinken nicht allein. Sobald sie aufgegessen haben, verlassen sie die Küche, und ich räume ab. Manchmal denke ich, dass meine Rolle leichter wäre mit Anspielpartner, mit jemandem, der ab und zu dankbar nicken und lachen würde, wenn ich bei den Nachbarn klingele: Entschuldigen Sie, in meinem Bad ist eine Römerin. Dürfte ich wohl Ihre Toilette benutzen?

Manche Mütter würden gerne von ihrer Rolle zurücktreten. Sie bedauern, sie angenommen zu haben. Ich kann das verstehen. Sie fordert, verunsichert und stürzt einen in lebenslange Unruhe. Auch wenn sich das eine Maria nicht anmerken lässt, jedenfalls nicht bis zu der Stelle mit den Königen.

Illustration: Grace Helmer