Ruth Bader Ginsburg gehört zu den am wenigsten gefeierten Stilikonen unserer Zeit. Das ist auch vollkommen in Ordnung so, gibt es doch haufenweise anderer Dinge, für die amerikanische Supreme-Court-Richterin gefeiert werden sollte. Und doch gebührt den stets wohl bedachten, glamourösen bis exzentrischen modischen Entscheidungen Bader Ginsburgs eine Huldigung – denn sie haben mehr Aussagekraft, als man auf den ersten Blick denken könnte.
Nachdem Bader Ginsburg 1993 am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten vereidigt wurde, sah sie sich – als zweite Richterin überhaupt in dieser Position (nach Sandra Day O’Connor) – mit der Frage konfrontiert, wie sie ihre traditionelle schwarze Robe kombinieren solle. Statt wie ihre männlichen Kollegen Hemden und Krawatten zu tragen, entschied sie sich wie schon O’Connor für Jabots: eine Art Lätzchen. Diese erweiterte sie nach und nach mit Spitzenkragen. Bis heute umfasst ihre Sammlung Modelle aus der ganzen Welt, von ihrem Lieblingskragen aus Perlen aus Südafrika bis zu einer Schleife aus dem Geschenke-Shop der Metropolitan Opera in New York, die der von Opernsänger Plácido Domingo nachempfunden ist, der Ginsberg einst besang, als sie ihre Ehrenwürde in Harvard verliehen bekam. Ihre Krägen setzt »RBG« (so der Spitzname Ruth Bader Ginsburgs) auch als politische Statements ein: Da gibt es etwa den schwarzen, mit Glaskristallen besetzten »Dissent Collar«, den sie trägt, wenn sie im Gericht Widerspruch signalisieren will, oder den »Majority Opinion«-Kragen aus gelber Häkelspitze, ein Geschenk aus Mallorca, das sie trägt, wenn sie mit der Mehrheitsmeinung übereinstimmt.
Wer in seiner Berufsbekleidung ansonsten am ganzen Körper uniformiert ist, der muss eben besonders seine mit der Hals- und Kopfpartie Statements setzen – eine Erkenntnis, die auf dem Fußballplatz oft zu Entgleisungen (Frisuren, Tattoos, Bärte) führt, Ruth Bader Ginsburg aber ganz hervorragend für sich zu nutzen weiß. Für das erste gemeinsame Portait mit ihrem neu ernannten und hoch umstrittenen Supreme-Court-Kollegen Brett Kavanaugh, dem zuvor mehrfach sexuelle Belästigung vorgeworfen war, trug Bader Ginsburg im November 2018 nach einer längeren krankheitsbedingten Abwesenheit (sie hatte sich bei einem Sturz mehrere Rippen gebrochen) eine schwere Metallkette mit pieksigen, pfeilförmigen Anhängern, die halb wie eine Rüstung, halb wie eine Waffe wirkte. Zufall? Wohl kaum. Eher die schmuckgewordene Unterstreichung ihrer persönlichen Stärke und Abwehrhaltung.
Neben ihren bedeutsamen Halsbehängen gibt es aber noch zahlreiche weitere beachtenswerte Accessoires im Schranke Bader Ginsbergs. Die Richterin liebt Scrunchies und trug die dicken, stoffumwickelten Haargummis schon lange bevor Stars wie Hailey Bieber, Ariana Grande, Eleven aus Netflix’ »Stranger Things« oder auch Balenciaga (in der Luxusversion aus Leder für rund 165 Euro pro Stück) das Retro-Haaraccessoire in den letzten Jahren wiederentdeckten. Selbst bei ihrer Nominierung zur Supreme-Court-Richterin durch Bill Clinton wurde ihr typischer Pferdeschwanz schon von einem blauem Scrunchie festgehalten; seit dem ist das Haaraccessoire in den verschiedensten, oft ausgehtauglichen Glitzerversionen am Hinterkopf Bader Ginsbergs ausgeführt worden.
Dazu kommen ihre Vorliebe für Netzhandschuhe. Der Washington Post erklärte sie einst, sie habe während der Chemotherapie nach ihrer Darmkrebserkrankung 1999 damit begonnen, die Handschuhe zum Schutz vor Infektionen bei Handschüttel-intensiven Empfängen zu tragen und sie dann so gemocht, dass sie sie einfach in ihre Garderobe integriert habe. Schwarze Netzhandschuhe zu schwerem Goldschmuck, kleinem Schwarzen und heller Clutch mit Reptilienmuster – klingt eher wie eine Kreuzung aus Karl Lagerfeld und Audrey Hepburn? Genau so erschien die 86-jährige Richterin vorige Woche zu ihrer Ehrung bei den DVF Awards von Designerin Diane von Furstenberg in Washington und stand dort dem Strahlen der anwesenden Frauen wie Karlie Kloss oder Iman in nichts nach.
Nur wenige Tage zuvor hatte sie mit einem anderen Accessoire für Aufsehen gesorgt: Martha Steward postete auf Instagram ein Bild von der Zeremonie des Woman of Leadership Awards in Washington, die (Internet-)Welt hatte dabei nur Augen für die glitzernden Silberpumps an den Füßen RBGs. »I’d swipe up for these shoes«, sagt eine nachkaufwillige Kommentatorin. Eine andere: »RBG absolutely just rocking those silver sparkly glitter shoes! She really is a #superdiva.«
RBG hat ihr Leben der Bekämpfung von Geschlechterungleichheiten und der Diskriminierung von Frauen am Arbeitsplatz verschrieben. Doch sie hat nie versucht, ihr Frausein in irgendeiner Form zu verstecken.
Ruth Bader Ginsburg hat in ihrem Leben viele Kämpfe kämpfen müssen. Für eine Gleichberechtigung als Frau, als Jüdin, als Mutter. In Harvard war sie eine von neun Studentinnen unter mehr als 500 männlichen Kommilitonen, nach ihrem Abschluss als Klassenbeste an der Columbia Law School bekam sie zunächst kein Stellenangebot und später weniger Geld als männliche Kollegen. RBG hat ihr Leben der Bekämpfung von Geschlechterungleichheiten und der Diskriminierung von Frauen am Arbeitsplatz verschrieben. Doch sie hat nie versucht, ihr Frausein in irgendeiner Form herunterzuspielen oder zu verstecken. Ihr Weg des Feminismus war nie der, sich auch äußerlich ihren männlichen Gegenspielern gleichzumachen. Ihre offen ausgetragene Vorliebe für traditionell als »feminin« angesehene Kleidung oder sogar »mädchenhafte« Accessoires ist ein umso stärkeres Statement.
Diese Frau ist klug, stark und zäh, sie hat Durchsetzungsvermögen, Macht, eine klare Meinung und musste sich ihr Leben lang mit patriarchalischen Machtstrukturen auseinandersetzen – niemand schreibt »The Notorious RBG« vor, was für einen Kragen, für ein Haargummi oder ein Paar Pumps sie anzuziehen hat. Und genau so ist es recht.
Wird/wurde getragen von: Karl Lagerfeld, Dorothy aus »Der Zauberer von Oz«, Carrie Bradshaw in »Sex and the City«
Wird getragen mit: Glamour, Selbstbewusstsein, Attitüde
Bloß nicht verwechseln mit: Tussikram, Verkleidungskiste, Jugendwahn