Wer will jetzt noch Flagge zeigen?

Dass es gesetzlich verboten ist, die US-Flagge als Kleidungsstück zu tragen, scherte Promis wie Mick Jagger, Katy Perry und Bono wenig. Aber kann das Sternenbanner in Zeiten von Trump noch als Symbol für Freiheit und Fortschritt dienen? Über eine Modegeschichte mit ungewissem Ausgang.

Mick Jagger, Katy Perry oder Bono: Wem stand's besser?

Fotos: Getty

Das »Star-Spangled Banner« oder Sternenbanner ist das wichtigste Accessoire auf jeder Wahlparty. Hier ziert die US-Flagge nicht nur Plastikbecher, Servietten und auf Cupcakes thronende Zahnstocher, sondern auch jedes vorstellbare Kleidungsstück. Neben banalen T-Shirts und Basecaps mit Flaggenaufdruck gibt es längst Socken, Jeans und Bikinis im Stars-and-Stripes-Allover-Print, uramerikanische Labels wie Tommy Hilfiger oder Ralph Lauren verstehen das Sternenbanner (oder dessen Farben) ganz selbstverständlich als Teil ihrer Markensymbolik, und selbst Modeschöpfer wie Karl Lagerfeld widmeten ihm schon ganze Kollektionen (gesehen bei Chanel für Frühjahr/Sommer 2008).

Das Flaggetragen hat modische Tradition, auch bei den Promis. Schon 1938 posierte Mae West für Vanity Fair als Lady Liberty im asymmetrischen Streifentop und in Sternchen-Hot-Pants. Unzählige Stars sollten es ihr nachtun – und zwar interessanterweise über alle politischen Gesinnungen hinweg und keineswegs beschränkt auf amerikanische Staatsbürger*innen. Unter den unvergessenen US-Flaggeträger*innen der letzten Jahrzehnte befinden sich: Britney Spears (im bauchfreien Sternetop und roter Lederhose 2000 auf dem Cover des Rolling Stone), Axl Rose (in Stars-and-Stripes-Radlerhose auf der auf der Bühne in den Neunzigern), Geri Halliwell (im Stars-and-Stripes-Body bei den MTV Music Awards 1997), Katy Perry (eigentlich ständig), Beyoncé und Lady Gaga (im Video zu ihrem gemeinsamen Song »Telephone« 2008), Rihanna (in USA-Bikini und Flaggen-Jeansweste im Video zu »We found love« 2011), Mick Jagger (der während der Rolling-Stones-Tourneen 1981-82 ein Cape trug, das den Union Jack mit der US-Fahne verband), Lynda Carter als Wonder Woman (1975-79) oder Dolly Parton (u.a. auf dem Cover ihres For God and Country-Albums, 2003). Für viele von ihnen scheint das Sternenbanner Ausdruck ihres Patriotismus, in anderen Fällen ein Symbol von Freiheit und Fortschritt (gewesen) zu sein; für die USA als Ort der uneingeschränkten Modernität und popkulturellen Dominanz.

Die modische Beliebtheit der US-Fahne über die Jahre unterlag dabei auch politischen Einflüssen. Besonders nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 zeigten viele Menschen Flagge als Zeichen ihrer Solidarität mit den USA. Beim Benefizkonzert »United We Stand: What More Can I Give«, das im Oktober 2001 in Washington DC zu Ehren der Anschlagsopfer stattfand, traten Stars wie Michael Jackson, Usher, Pink oder Destiny’s Child in Stars-and-Stripes-Outfits auf, am Ende der Halftime-Performance von U2 beim Super Bowl im Februar 2002 präsentierte Bono stolz das Sternenbanner-Futter seiner Lederjacke. 

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Die Modedesignerin Catherine Malandrino entwarf vor 20 Jahren ein »American Flag«-Kleid, das erstmalig von Halle Berry bei der Premiere von Swordfish am 1. September 2001 getragen wurde – nach 9/11 wurde es von zahlreichen weiteren Prominenten aufgegriffen. Im Wahljahr 2008 brachte Malandrino das Kleid erneut auf den Markt, um die Ernennung Obamas zum Präsidenten zu feiern, kurz darauf ließ sich Meryl Streep in dem Kleid blicken und holte es Jahre später wieder hervor, um darin 2016 eine Rede auf die damalige demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton zu halten. Selbstredend hat auch Katy Perry eines dieser Kleider im Schrank. Dabei ist all das eigentlich verboten.

Zwar werden Verstöße gegen das Flaggengesetz nicht strafrechtlich verfolgt, trotzdem führte die modische Nichtbeachtung immer mal wieder zu Empörung.

Der Kongress verabschiedete 1942 nämlich den United States Flag Code, der genau festlegt, wann, warum und in welcher Geschwindigkeit die amerikanische Flagge gehisst zu werden hat. Unter anderem steht darin auch, dass die Flagge nicht als Kleidungsstück oder Bettdecke benutzt und in ihrem Erscheinungsbild verändert werden darf. Zwar werden Verstöße gegen das Flaggengesetz nicht strafrechtlich verfolgt, trotzdem führte die modische Verwertung immer mal wieder zu Empörung. 1968 wurde der der Politaktivist Abbie Hoffman in Washington DC von der Polizei festgenommen und entkleidet, weil man vermutete, sein Hemd sei aus einer amerikanische Flagge genäht worden.

2011 trug Schauspielerin Kate Bosworth beim Coachella-Festival ein Tanktop mit ausgeblichenem Sternenbanner-Print von Topshop (nach Vorbild eines Laufsteg-Teils von Balmain) - und zog damit den Zorn amerikanischer Kriegsveteranen auf sich und die Hersteller. Aus ähnlichen Gründen nahm vier Jahre später der amerikanische Einzelhändler PacSun ein T-Shirt aus seinem Sortiment, was dieser in Kooperation mit dem Rapper A$AP Rocky designt hatte. Es zeigte eine umgedrehte US-Fahne. Es kamen Beschwerden, diese Darstellung sei beleidigend gegenüber denen, »die ihr Leben für unser Land riskiert hätten«.

Die kreative Freiheit im Umgang mit der US-Flagge scheint in konservativen Kreisen offenbar höchst begrenzt. Dabei ist das Schöne am Sternenbanner eigentlich sein flexibles – und man könnte fast sagen demokratisches – Design: 13 Streifen für die Gründungsstaaten, Sterne für jeden Bundesstaat. Seit 1960 Alaska und Hawaii dazugekommen waren, sind es 50 an der Zahl, sollten weitere Bundesstaaten entstehen oder aufgenommen werden, würde am anschließenden 4. Juli ein Stern ergänzt, so ist es festgelegt. Derart repräsentativ zeigt sich die EU-Flagge mit ihren 12 Sternen nicht: Dass die Europäische Gemeinschaft bei Einführung der Flagge 1986 aus zwölf Ländern bestand, wird als reiner Zufall angesehen, die vielen zusätzlichen Mitgliedsstaaten seitdem hatten keinen Einfluss aufs Flaggendesign.

Trotzdem scheinen der Europa-Hoodie und weiteres EU-Merchandise den Stars and Stripes hierzulande in den letzten Jahren modisch den Rang abzulaufen. Selbst Lana Del Rey, eigentlich die Personifizierung der Americana-Ästhetik, verkündete 2017 in einem Interview, sie fühle sich in Zeiten Trumps nicht mehr wohl dabei, eine Flagge zu schwenken. Und auch die Rolling Stones, die vehement dagegen kämpfen, dass ihre Songs bei Trump-Wahlveranstaltungen gespielt werden, würden heute wohl keinen Sternenbanner mehr als Touroutfit wählen.

Als Symbol für Freiheit, Fortschritt und unbegrenzte Möglichkeiten kann die US-Flagge 2020 nicht mehr herhalten. Mal sehen, was die Wahl daran ändert.

Wird getragen von: Wonder Woman, Uncle Sam, Country- und sonstigen Stars, Patriot*innen
Wird getragen mit: Cowboystiefeln, Jeans, Basecap, Grillzange, Budweiser
Trage-Anlass: Independence Day am 4. Juli, Flag Day am 14. Juni (ein staatlicher Feiertag in Pennsylvania und Amerikanisch-Samoa), Wahlpartys