Würgereiz, Erbrechen, stundenlanges Unwohlsein

Sie riecht so, wie sie heißt, und der Geschmack gilt als äußerst gewöhnungsbedürftig – aber in Asien ist die Stinkfrucht eine Delikatesse. Eine Mutprobe.

Die Durian ähnelt der Jackfruit, die sich im Westen schon als Fleischersatz in Curry­gerichten durchgesetzt hat – und gar nicht stinkt. Die Noppen der Jack­fruit sind kleiner.

Zuerst das Eis. Mit Milch ver­mischt und gefroren lasse sich Durian am leichtesten probieren, heißt es, weil die Kälte den Geruch minimiere. Das Eis sieht nach Vanille aus. Wird in Singapur an jeder Straßenecke verkauft. Im Hörnchen oder als Waffelschnitte.

Meine erste Durian-Eisschnitte kaufe ich im Central Business District von Singapur auf der Straße. Sie riecht nach dem Zeug, das deutschem Kochgas zugegeben wird, damit man es bemerkt, falls es unkontrolliert austritt. Nur viel stärker. Ich rieche Durian schon aus der Entfernung, lange bevor der Straßenhändler mir das Eis in die Hand drückt. Die gängigen Reiseführer warnen grundsätzlich vor dem Verzehr von Durian, der als abenteuerlustiger geltende Lonely Planet empfiehlt, sich beim Essen wenigstens die Nase zuzuhalten.

Ich befolge den Rat, aber der Fäulnis­geschmack breitet sich im Nu auf der Zunge und dann am ganzen Gaumen aus. Meinen Freunden schmeckt’s bestens. Dijana und ­Peter, beide Expats aus München und seit eineinhalb Jahren in Singapur, essen die Durian gern und oft. Aber sie haben schon Besucher gehabt, die sich nach dem ersten Probieren übergaben.

Meistgelesen diese Woche:

Durian bedeutet Liebe auf den dritten Biss. Es heißt, wer aus Europa komme, müsse sie dreimal versuchen, ehe sie oder er die ­Durian bewältigen könne. Beim ersten Mal ekelten sich so gut wie alle. Beim zweiten stelle sich ein Geschmack ein, den man nicht recht einordnen, aber auch nie mehr ver­gessen könne. Erst beim dritten Mal lasse sich Durian genießen, wenn überhaupt. Bei Dijana und Peter hat es beim dritten Mal tatsächlich geklappt. Zwei Chancen muss ich der Stinkfrucht noch geben.

Dem Durian-Test unterziehen sich so gut wie alle Europäer, die Freunde in Südostasien besuchen. Wer ihn besteht, verdient sich den Respekt der Einheimischen. Durchfallen bedeutet oft: Würgereiz, manchmal Erbrechen, stundenlanges Unwohlsein. Der Geruch setzt sich in Kleidung und Haaren fest. Zähneputzen hilft nicht, auch nicht mehrmaliges. Durian ist schwer verdaulich. Wer versucht, das Ganze mit Alkohol runterzuspülen, riskiert ernsthaft das Leben. Schnaps und Durian gehen nicht zusammen, der Kreislauf verträgt das nicht. Auch ohne Alkohol sterben jedes Jahr in Thailand und Indonesien einige Durian-Liebhaber an einer Überdosis. Fotos in indonesischen Tageszeitungen zeigen sie mit weißem Schaum vorm Mund, als hätten sie Tollwut gehabt.

Im Westen wird die Durian Stinkfrucht genannt. Die westliche Abscheu vor ihr ist kein lustiges Thema, die Stinkfrucht kein Scherzartikel. Wissenschaftlern ist sie ein Rätsel. Der Gestank ist biologisch durchaus sinnvoll, denn Elefanten, Tiger, Schweine, Affen lieben den Geruch, stürzen sich auf die Frucht und verbreiten später mit ihrem Kot die Samen im Wald.

Jede Küche kennt Vergorenes. Der Ekel davor habe sich im Laufe der Evolution mit der Toilettenkultur entwickelt, meint die Ethnologin Maxine McBrinn. Essen, das in Geruch oder Textur Exkrementen ähnelt, wird per Sozialisation als abstoßend empfunden. Dennoch haben sich einige übel ­riechende Spezialitäten in verschiedenen Kulturen durchgesetzt: alter Käse in Europa, ver­rottetes Walfleisch bei den Inuit, Fisch­sauce in Vietnam, Kimchi in Korea, sogenannte tausendjährige Eier in China. Und eben ­Durian. An Kimchi oder Fischsauce haben sich die Menschen in aller Welt weitgehend gewöhnt. Aber Durian bildet eine Hürde für die Völkerverständigung.

In Südostasien gilt rohe Durian schon ewig als Delikatesse. Die Ureinwohner von Borneo kochen die Durian mit Salz und nutzen sie als Chutney auf Reis. In Singapur gibt es Pizza, Püree, Kaffee, Marmelade und Käsekuchen mit Durian. In der Nebensaison kostet eine einzige Frucht bis zu 45 Euro. In Singapur gibt es eigene Verkostungen, und auf einer Auktion wurden im vergangenen Winter zwei Exemplare, von denen man annahm, sie müssten besonders gut schmecken, für 500 Euro versteigert. Anonyme Spender spendeten mehrere Millionen Dollar dafür, das Durian-Genom in Singapur entschlüsseln zu lassen. Das gelang 2017 auch, allerdings ohne herauszufinden, was die Durian so außergewöhnlich macht. Sie riecht nämlich nicht nur besonders stark, ist kalorienreich und so fett wie sonst nur Avocados – sie ist auch gesund und soll sogar bei Fieber und Hepatitis helfen, aphrodisierend und potenzsteigernd sein. Durian ist der König, verkündet ein Werbespruch in den Läden und Straßenständen Asiens.

Maxine McBrinn erklärt sich den Genuss als Freude am Kampf zwischen Intellekt und Körper: »Der Intellekt sagt einem, es ist okay, Durian zu essen, der Körper sagt Nein. Weil der Geschmack viel besser ist als der Geruch von Durian, hat man beim Essen das Gefühl, belohnt zu werden.« Nach meinem ersten Versuch bin ich nicht zuversichtlich, dieses Gefühl noch erleben zu dürfen.

Die allermeisten Touristen aus dem Wes­ten ertragen weder Geschmack noch Duft der Stinkfrucht. Sir Stamford Raffles, vor 200 Jahren der sogenannte Gründervater von Singapur, gab den Rat, sich sofort die Nase zuzuhalten und wegzurennen, sobald man eine Durian riecht. Ist gar nicht so einfach, dabei die richtige Richtung zu erwischen, denn man riecht sie in der Natur bis zu 150 Meter weit. Und wer immer mit Durian in der Küche arbeitet, besitzt einen eigenen Kühlschrank für sie.

Die Durian bildet eine Hürde für die Völkerverständigung

Die Stinkfrucht in öffentlichen Verkehrsmitteln zu transportieren ist in Asien verboten, sogar auf den offenen Chao-Phraya-Fähren in Bangkok, sogar, wenn die Stinkfrucht noch nicht geöffnet und in mehreren Schichten Plastik verpackt wurde. Verbotsschilder findet man auch an Gebäuden und vor Restaurants. Im Passagierflugzeug darf man frische Durians nicht einmal im Gepäckraum transportieren. Nur tiefgekühlt oder in Form von Chips, Schokolade, auf­gelöst in Kaffeepulver darf die Durian in den Westen exportiert werden. Die wenigsten Fluggesellschaften erlauben den Transport von frischen Durian in vakuumierter Ver­packung. Auch deswegen bleibt die Durian eine der wenigen Früchte, die sich der Globalisierung widersetzen.

Singapur ist offener geworden. Kein Mensch wird mehr verfolgt, weil er nackt durch die eigene Wohnung rennt, obwohl es das Gesetz dagegen immer noch gibt, und wer mit Durian im Bus erwischt wird, kommt manchmal um die fällige Geldstrafe herum. In der U-Bahn ist das anders: Da wird das gesetzlich festgeschriebene Stinkfrucht-Verbot noch weitgehend eingehalten. Es hilft ohnehin nicht viel. Wer viel Durian isst, muss noch Stunden später aufstoßen. Man riecht die Frucht in der ganzen Stadt.

Malaysia, Thailand und Indonesien sind die Hauptanbaugebiete, auch in Australien und Indien gibt es Plantagen, in Sri Lanka wachsen Durians wild im Wald – jedes Jahr sollen dort 150 Menschen von herabfallen­den Kokosnüssen und Durians erschlagen werden. Singapur ist der größte Abnehmer, wegen der starken Währung, die Importe aus allen Nachbarländern anzieht, und wegen der vielen chinesischen Touristen, die die Durian in den vergangenen zehn Jahren in großem Stil für sich entdeckt haben. In Singapur bekommt man die besten Früchte in ganz Asien. Restaurants bieten »All you can eat«-Durian-Buffets für 56 Singapur-Dollar, rund 40 Euro, und Gourmetrestaurants servieren französische Käsekuchen und cognac­getränkte Cup Cakes mit Stinkfrucht.

»Sweet Musings« heißt ein Laden in Chinatown. MJ Heng, der Inhaber, verkauft obskure Produkte gegen Diabetes und Durian-Kapseln für die Steigerung der Potenz. Sein Verkaufsschlager sind Durian-Streusel, die rund 14 Euro pro Packung kosten. Er produziert sie selbst. Sechzig Jahre ist er alt, vor vier Jahren erst hat er umgesattelt von Immobilienmakler auf Durian-Spezialitätenverkäufer. Die Grundstückspreise in Singapur verharren auf hohem Niveau, die Durian-Preise steigen immer weiter. »China ist verrückt nach Durian«, sagt er. Laut UN-Handels­statistik importierte China im Jahr 2016 Orangen im Wert von 200 Millionen US-Dollar, Durian bereits für 600 Millionen. MJ Heng hofft, dass seine Durian-Streusel bald in China für den Import zugelassen werden. Er glaubt, dass die Durian-Nachfrage durch die Decke geht, sobald alle 1,4 Milliarden Chinesen reisen dürfen, »bisher haben ja nur 200 Millionen einen Pass«. Die Gewinnspannen sind so hoch, dass Malaysia viele Plantagen von Palmöl auf die Durian-Sorte »Mao Shan Wang« umstellt.

Ich verweigere sein Eis. Ich probiere seine Streusel: dezenter Muff. Akzeptabel. Interessant. MJ Heng schneidet eine frische Mao Shan Wang auf. Man isst das Fleisch mit dem Löffel, mit einem Plastikhandschuh oder einfach aus der Hand. Ich nehme ein Stück und beiße ab. Die Durian hat die cremig-sahnige Textur einer überreifen, fast matschigen Avocado. Ich schmecke eine ausgewogene Balance von bitter und süß. Reizvoll. War es das? Bin ich bekehrt? Schon beim zweiten Versuch?

Durian ist nicht gleich Durian. Zwei bittersüße Sorten aus Malaysia heißen »Durian 24«, die ist etwas bitterer als süß, und »XO«, in Anspielung auf den Cognac, diese Durian ist vor allem süß und weniger bitter. Mao Shan Wang heißen auf Englisch »Musang King« und schmecken ausgewogen bitter und süß, ihr Fruchtfleisch ist goldgelb, sie gelten als die bes-ten. Auch sie kommen aus Malaysia, gewachsen auf dreißig Meter hohen Bäumen. Man isst sie möglichst am Tag der Ernte, in Malaysia wartet man, bis die grünen, stacheligen, bis zu drei Kilo schweren Früchte vom Baum fallen, bevor man sie aus Penang rund sieben Stunden lang mit dem Laster nach Singapur bringt. Mit Papier verklebt, damit die Fahrer nicht unbemerkt eine Frucht stehlen können.In Thailand wachsen größere, süßere Durian, die allerdings weniger Fruchtfleisch haben, weil ihre Kerne größer sind. Die thailändischen stinken weniger. Sie werden gepflückt und  müssen in der Kiste nachreifen, das macht den Transport leichter – auch deswegen sind sie am weitesten verbreitet. Die Unterschiede sind auch preislich gewaltig und reichen von 60 Euro-Cent für ein Kilo einer Thai-Durian in der Haupterntezeit bis zu 45 Euro für eine Durian aus Malaysia in der Nebensaison, in China können sie mehr als 200 Euro kosten. Die guten, reifen zu erkennen ist nicht einfach. Mao Shan Wang haben größere Stacheln und einen sternförmigen Strunk. Scharfe ­Stacheln zeugen von Frische. Zwei, drei Tage altes Fruchtfleisch fängt an zu schwitzen. Aber jede Durian schmeckt anders, selbst von demselben Baum. Man sagt, Würmer wüssten genau, welche Früchte die besten sind. Aber man entdeckt Würmer erst beim Öffnen. Und sobald ein Händler eine Durian für den Käufer anschneidet, muss man sie bezahlen, Umtausch ausgeschlossen.

Ein Lokal in Singapur namens »Four Seasons Durians« garantiert, jede angeschnittene Durian zurückzunehmen. Der Koch verarbeitet sie dann etwa auf der Pizza oder zu einem Dessert in japanischen Mochis. Victor Chan, der Koch und Besitzer, begann vor zwanzig Jahren mit Durian zu experimentieren. Mittlerweile hat er fünf Filialen in der Stadt und einen großen Geschenkeladen am Flughafen, in dem er Schokolade, Kekse und Streusel verkauft. Die dritte Runde für mich: Das Stück Pizza schmeckt nach uraltem Brie. Geht gar nicht. Das Dessert – zu süßfaulig. Ich weigere mich, das Eis zu probieren. Peter und Dijana essen alles auf. Nein, ich bin nicht bekehrt. Am Nachmittag probiere ich vom Buffet im »Marriot«-Hotel Durian-24-Mochi mit Püree aus Durian, ganz okay, und dann noch Käse­kuchen mit Durian-Püree auf weißer Schokolade, der Philadelphia-Käse darauf wurde mit Rémy Martin getränkt. Viel zu intensiv für meinen Geschmack. Wie auch die Cupcakes und die Waffeln mit Kokosnuss-Durian-Eis darauf. Nein, definitiv kein Eis. Nie mehr.

Am Abend im Schwimmbad muss Peter aufstoßen, er hat allein fünf Durian-Eis ge­gessen. Die anderen Schwimmer suchen irritiert nach verdächtigen Plastiktüten am Beckenrand. Noch am nächsten Morgen rieche ich Durian in meinem Urin.

Thailand hat allen Ernstes angekündigt, Durians ins All zu schießen und zu proben, ob sie sich als Weltraumnahrung eignen.