Heute wollen wir uns mit der Lüge als Wirtschaftsfaktor beschäftigen. Offensichtlich kann sie, die Lüge, in ökonomischer Hinsicht ja sehr hilfreich sein, das beginnt mit milden Übertreibungen, wie wir sie, um nur ein Beispiel zu nennen, in den Sechzigerjahren von Seiten jenes Waschmittelkonzerns kennenlernten, der für ein Pulver namens Omo mit dem Slogan Keiner wäscht reiner warb. Wir verstanden das gerne als Keiner wäscht Rainer, und der Rainer in unserer Schulklasse hatte darunter sehr zu leiden. Er behauptete mit schriller Stimme, er werde sehr wohl gewaschen, wenn auch nicht mit Omo! (Die Wahrheit war, dass wir damals alle, wie viele Neunjährige, nicht die Allergewaschensten waren.) Bald wurde der Omo-Satz denn auch von einer Werbung übertroffen, in der es hieß, Dash wasche so weiß, »weißer geht’s nicht«. Der Omo-Konter, man wasche »so rein, Rainer geht’s nicht«, blieb aus. Vielleicht hört man deswegen seit Jahren so wenig von Omo.
Ohnehin sind Übertreibungen oft durchschaubar, was man von der krassen Lüge so leicht nicht sagen kann. Der Volkswagenkonzern hat seine Kunden lange Zeit so kunstvoll belogen, dass man seine Bewunderung kaum verhehlen konnte. VW log und log und log - und lief und lief und lief auch deswegen so gut. Und doch muss man sagen, um auf das eingangs formulierte Thema zurückzukommen: Die Lüge war auch hier ein Hilfsmittel, um den Absatz eines anderen Produktes, des Autos nämlich, zu fördern.
Sie war noch nicht das Produkt selbst.
Das aber ändert sich, wie wir anhand der Nachrichten aus Veles in Mazedonien vermuten können. Veles ist eine Stadt von 45 000 Einwohnern, deren Industrie im Niedergang begriffen, eigentlich kaum noch vorhanden ist. Viele Jugendliche haben dort aber während des amerikanischen Wahlkampfs ein neues Geschäftsmodell entdeckt: Produktion und Vertrieb von Lügen.
Sie stellten, wie man auf buzzfeed.com und dann auch in der Welt am Sonntag lesen konnte, Internetseiten her, die sie WorldPoliticus.com, TrumpVision365.com oder DonaldTrumpNews.co nannten. Dort waren alle nur denkbaren Lügengeschichten zu lesen, Papst Franziskus habe zum Beispiel Katholiken verboten, Hillary Clinton zu wählen oder: Es gebe Beweise, dass Barack Obama in Kenia ge-boren sei. Von Facebook-Accounts brachten die Leute in Veles dann Leser zu diesen Seiten, und für jeden dieser Leser gab es Geld aus der Werbung, von Google AdSense, sehr wenig in jedem einzelnen Fall. Da es aber sehr viele Lügen-Kunden gibt, wurde dann doch viel bezahlt, Tausende, wenn nicht Zehntausende von Euro für manche Lügen-Unternehmer: eine Schwindel-Bonanza in einem Land, in dem das durchschnittliche Monatsgehalt bei 360 Euro liegt.
So ist ein gewisser Wohlstand nach Veles gekommen, denn es gibt nicht nur in den USA, sondern weltweit eine Nachfrage nach Lügen, die befriedigt werden will. Man kann also einerseits mit Hilfe von Lügen amerikanischer Präsident werden, weil es viele Leute ausnehmend attraktiv finden, wenn einer sich um die Wahrheit nicht schert; sie halten das ja für ein Zeichen seiner Stärke. Andererseits ist mit der Lüge selbst Geld zu verdienen, sie wird, wie wir in Veles sehen, ein gut verkäufliches Ding, das vielleicht bald schon seine eigenen Fabriken, Fließbänder, Agenturen und Logistikzentren benötigt: eine Lügenwirtschaft. Donald Trump hat sein Amt nicht mal angetreten - und da ist er schon, der erste schöne Wirtschaftsaufschwung, leider nach dem Motto Macedonia First.
Steht nun auch bei uns der Aufbau einer eigenen Lügen-Industrie an, unter Anleitung bewährter VW-Manager vielleicht? Als Mitarbeiter: die von der Moderne abgehängten Pegida-Taugenichtse, die nun mal eh nie etwas anderes als Lügen gelernt haben? Bio-Lügen aus Freiburg, handgeschnitzte Lügen aus dem Erzgebirge, rauchende Lügen-Schlote im Ruhrgebiet, immer nach dem Motto Keiner lügt dreckiger? Ist das auch unsere Zukunft?
Illustration: Dirk Schmidt