Die Redewendung des Jahres 2017 war für mich der Satz »Das kriegen wir hin«. Mein Gefühl ist, dass neuerdings jeder Deutsche einmal pro Tag »Das kriegen wir hin« sagt. Du möchtest eine Flasche Wasser im ICE? Der Schaffner sagt: »Das kriegen wir hin.«
Du willst mit dem Taxi zum Bahnhof fahren? »Das kriegen wir hin«, sagt der Taxifahrer.
Du willst eine Gehaltserhöhung von hundert Prozent? »Das kriegen wir hin«, sagt der Chef. (Nein, er sagt es natürlich nicht, Chef checkt wieder nicht, wie’s läuft.)
Hinkriegen ist die alltägliche Variante von »Wir schaffen das«, dem Leitsatz Bob des Baumeisters und Angela Merkels. Aber würden Schaffner, Taxler und Chef »Das schaffen wir« antworten, klänge es wie eine ironische Variation der Kanzlerin. Deshalb sagen alle »Das kriegen wir hin«, es klingt politisch neutral und gehört doch zum Besten an diesem Land, in dem alle alles hinkriegen wollen. Der Deutsche ist ins Hinkriegen verliebt.
Nun las ich, zur Rettung der Welt vor dem Klimawandel müsse man möglicherweise auch zum Geoengineering greifen, das heißt, in größter Weise ins Weltgeschehen eingreifen. Man würde einerseits versuchen, weniger Kohlendioxid in die Luft zu pusten, andererseits Techniken entwickeln, das Hinausgeblasene der Atmosphäre zu entnehmen, mit riesigen CO2-saugenden Fabriken zum Beispiel. Mir gefällt die Idee, Gestein zu zermahlen und in der Landschaft oder dem Meer zu verteilen. Die Felsbrösel würden durch Verwitterung Kohlendioxid binden. Nachteil des Verfahrens wäre, dass es in wirklich großem Stil geschehen müsste. Ulf Riebesell vom Forschungszentrum Geomar in Kiel hält es deshalb für illusorisch: »Wir müssten dazu ganze Gebirge wie die Dolomiten abtragen, schreddern, transportieren und im Wasser lösen.«
Ich finde: Wenn ein Problem wie der Klimawandel auftritt, muss man alles infrage stellen, auch die Existenz von Gebirgen. Da Skisport mangels Schnee ohnehin nicht mehr stattfinden kann und auch Gletscher abschmelzen, ist zumindest für die Alpen kaum noch ein sinnvoller Existenzzweck zu erkennen; man könnte dem alten Traum der freien Sicht aufs Mittelmeer nähertreten. Aber natürlich verstehe ich, dass der Aufwand für ihre Zermeißelung in Fabriken sowie der Abtransport mithilfe unermesslich großer Lkw-Kolonnen ein Problem wäre.
Zu unseren guten Vorsätzen für das kommende Jahr muss daher neben besserer Mülltrennung, weniger Fleischverzehr und dem Verzicht auf Flugreisen gehören: Jeder von uns bringt von jedem ohnehin geplanten Alpenbesuch einen Sack Felskrümel mit, die er eigenhändig aus dem Gestein geschlagen hat, bei einer Wanderung, einer Skitour, einem Spaziergang. Es muss der Grundsatz gelten: Wir fangen oben an! Es wird nicht zuerst die Basis des Zugspitzmassivs zerkleinert, sondern erst mal die Zugspitze oben selbst; sonst fällt einem in Garmisch am Ende der Berg auf den Kopf, das kann’s nicht sein. Die so gewonnenen Bröckel verstreuen wir hernach im Garten, im Park oder werfen Sie in den See oder das Meer. Helfen auf diese Weise alle zusammen, spart man eine Menge an industrieller Abtragung. In den Bergen sind pro Jahr Hunderte Millionen Touristen unterwegs. Alle müssten nur nebenbei etwas Gestein zu Mehl machen. Auch gewinnt man, wenn die Berge mal weg sind, neuen Raum für Windparks, Solaranlagen und Maisfelder zur Erzeugung von Biomasse, ja, man könnte gleich so tief graben, dass eine Art riesigen Beckens entstünde, in welches das Mittelmeer bei steigendem Wasserspiegel von Venedig oder Genua aus überlaufen könnte. Wir müssten halt wirklich alle anpacken.
Dann kriegen wir es hin.
Illustration: Dirk Schmidt