Wetten dass..?

Zwei verlässliche Konstanten kennzeichnen die größte deutsche Fernsehshow: die außergewöhnlich guten Quoten und die außergewöhnlich schlechten Kritiken. An diesem Wochenende präsentiert Thomas Gottschalk seine nächste Sendung – das obligatorische Sommer-Special, aus einem Amphitheater bei Antalya – und es lässt sich jetzt schon mit Sicherheit sagen, was am Montag wieder in den Zeitungen stehen wird: Die Show sei nur noch eine Anhäufung von Werbeauftritten; Gottschalks Mangel an Vorbereitung lasse sich endgültig nicht mehr verbergen; es sei ein Rätsel, warum der müde Abklatsch einer Samstagabendshow noch immer 15 Millionen Zuschauer zum Einschalten bewege. Und diese ernüchternden Bilanzen haben sich keineswegs erst in letzter Zeit eingestellt: Ältere Kritiken der Sendung machen deutlich, dass der Chor der Enttäuschten und Überdrüssigen bereits seit beinahe zehn Jahren unverändert anhält. Woran liegt es also, dass eine Fernsehshow, die sich so offensichtlich überlebt hat, immer noch die erfolgreichste von allen ist? All die Kommentare mit ihren profunden Nachweisen, welche Aussetzer sich Gottschalk wieder geleistet habe, beruhen auf einem Missverständnis: Sie gehen davon aus, dass die durch nichts zu erschütternde Beliebtheit von Wetten, dass..? noch in irgendeiner Weise an das gebunden wäre, was in den aktuellen Sendungen passiert. Das Gegenteil ist der Fall: Nichts hat inzwischen einen geringeren Anteil am Erfolg der Show als das, was tatsächlich zu sehen ist. Die einzigartige Quote wird lange schon von etwas ganz anderem gesichert: von der grundsätzlichen Orientierung und Geborgenheit, die Wetten, dass..? den Zuschauern bietet. Im Zeitalter der endlosen Partikularisierung des Fernsehens, der sechzig Kanäle und der Woche für Woche erneuerten Sendeformate stillt Wetten, dass..? die Sehnsucht nach einer Zeit, in der es noch keine Wahl gab, in der eine Sendung unter Aufbietung aller Möglichkeiten für das Gelingen des Fernsehabends einstehen musste. Die wohlige Vorfreude beim Erklingen der Erkennungsmelodie um 20.15 Uhr bezieht sich genau auf diese Gewissheit: dass das Fernsehen mit all seinen Verzweigungen und Ableitungen für einen Abend wieder ein absolutes Zentrum habe. Florian Illies schrieb bekanntlich über das Wetten, dass..?-Gefühl des Zwölfjährigen in den frühen Achtzigern: »Niemals wieder hatte man in späteren Jahren solch ein sicheres Gefühl, zu einem bestimmten Zeitpunkt das Richtige zu tun.« Dass sich gut zwanzig Jahre später noch immer die Hälfte aller Fernsehzuschauer am Samstagabend für diese Sendung entscheidet, ist der kollektive Versuch, diese kindliche Sicherheit alle sechs Wochen auch für die haltlose Erwachsenenexistenz wiederherzustellen. Wenn Wetten, dass..? seinen Status aber allein dieser Kontinuität zu verdanken hat, ist der Vorwurf der Stagnation und Wiederholung widersinnig. Das Immergleiche ist vielmehr das Erfolgsprinzip der Sendung. Natürlich befremdet Gottschalks Arroganz die Zuschauer mehr und mehr (man denke nur an das unverhohlene Desinteresse, mit dem er inzwischen die Wettkandidaten verabschiedet: halb abgewendet, ohne seinen Redefluss auch nur für einen Augenblick zu unterbrechen). Doch die Sympathiewerte, die er damit verspielt, sind irrelevant angesichts des ungeheuren Kredits, den die Sendung im vergangenen Vierteljahrhundert als letzte Instanz der Fernsehunterhaltung angehäuft hat. Das Publikum erwartet von jeder neuen Wetten, dass..?-Folge nichts anderes, als dass sie so sein wird, wie es immer schon gewesen ist. Deshalb schadet der zehnte Auftritt von Claudia Schiffer, das zwanzigste Lied von Peter Maffay, die hundertste brennende Tonne als Bühnendekoration der Sendung weniger als eine einzige fundamentale Änderung des Konzepts. Im Zeitalter der allgemeinen Erinnerungsseligkeit auf dem Bildschirm, der unzähligen Rückblicke auf die siebziger, achtziger, neunziger Jahre nimmt Gottschalks Show eine Sonderstellung ein. Sie ist die einzige Sendung, die gleichzeitig Gegenwart und Vergangenheit zu präsentieren vermag. Wetten, dass..?: seit Jahren nichts als ein Revival seiner selbst.