»Manche ignorieren einen, wenn man ›Guten Morgen‹ sagt«

Ohne Krankenhausreiniger wie Esra Altuntas hätte das Gesundheitssystem ein Problem. Trotzdem erfahren sie für ihre Arbeit nicht nur Wertschätzung. Umso schöner ist es, wenn Patienten sich auf überraschende Weise erkenntlich zeigen – wie in Altuntas’ Fall ihres Lebens.

Illustration: Lina Müller

Esra Altuntas, 33, arbeitet seit zwölf Jahren in der Krankenhausreinigung. Seit vier Jahren reinigt sie die Verwaltungsräumlichkeiten und eine Station im Israelitischen Krankenhaus Hamburg.

SZ-Magazin: Frau Altuntas, wie hat die Corona-Pandemie Ihren Job verändert?
Esra Altuntas: Ich hatte nie Angst um mich selbst, aber ich habe Respekt vor der Krankheit, weil sich auf meiner Station viele Menschen mit Magen-Darm-Erkrankungen und Krebspatienten befinden, die immungeschwächt sind. Es ist eine private Station, die sonst sehr warm und freundlich wirkt – aber als Corona anfing, war es plötzlich wie auf der Intensivstation. Es kamen keine Besucher mehr, die Patienten konnten sich nicht frei bewegen, es herrschte fast schon eine Totenstille. Vor den Zimmern gab es sogenannte »Iso-Ständer«, auf denen alles vorrätig war, was man drinnen tragen musste: Handschuhe, Mundschutz, Haube, Kittel, Schutzbrille. Mit der Zeit hat das schon etwas an der Psyche gekratzt und bedrückt. Mittlerweile sind wir wieder im normalen Betrieb, auch den Mundschutz tragen wir in den Patientenzimmern natürlich noch.

Was muss man Ihrer Meinung nach in Ihrem Job besonders gut können?
Es heißt immer »Jeder kann putzen«, aber das stimmt nicht. Man braucht ein Auge für Details. Und man muss einschätzen können, wie fit ein Patient ist und was er braucht. Wenn ich reinige, denke ich zum Beispiel: »Hier könnte er hinfassen, das muss also keimfrei sein.« Oder: »Die Lampe über dem Bett muss abgestaubt werden, damit er das nicht einatmet.« Ich unterhalte mich auch sehr gerne mit Patienten, weil ich glaube, dass es für ihre Genesung wichtig ist, Gesprächspartner zu haben.

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Zu einer Patientin haben Sie dabei eine besondere Verbindung aufgebaut.
Das war vergangenes Jahr im Herbst. Ich bin schon seit meiner Kindheit vernarrt in Musik, weil sie mir immer wieder aus schwierigen Situationen geholfen hat, ich habe sogar einen Notenschlüssel auf den Hals tätowiert. Und als ich in das Zimmer dieser Patientin kam, eine ganz ruhige Dame zwischen 50 und 60, lief Panflöten-Musik, die mich schon an der Tür gefesselt hat. Ich bin an das Bett gegangen und habe gesagt, dass die Musik mich total beruhigt und ich mich wie im Wellness-Tempel fühle. Darüber kamen wir ins Gespräch über verschiedene Musikrichtungen. Und dann haben wir uns jeden Tag etwas besser kennengelernt.

Wie lange war die Frau in der Klinik?
Ungefähr acht Wochen.

Worüber haben Sie gesprochen?
Über private Sachen. Sie hat mich gefragt, ob ich Kinder habe, und ich habe von meinen Söhnen erzählt und ihr Fotos gezeigt. Wir haben darüber geredet, dass mein älterer Sohn am liebsten in Ruhe Comics liest und dass der Kleine so viel Power hat und kaum stillsitzen kann. Dass ich mich vom Vater der Kinder getrennt habe und wie schwer es als alleinerziehende Person in unserer Gesellschaft ist. Irgendwann fragte sie mich: »Spielen sie ein Instrument?« Ich habe erzählt, dass ich immer gerne Klavierspielen lernen wollte, aber das in meiner Kindheit zeitlich und finanziell nicht ging. Ein paar Tage später sagte sie: »Ich möchte Ihnen etwas schenken.« Ich dachte, vielleicht kriege ich einen Schlüsselanhänger oder so, sowas ist schon öfter vorgekommen. Aber sie wollte erstmal nur meine Telefonnummer aufschreiben.

Und dann?
Hat sich ein paar Tage nach ihrer Entlassung ein Mann bei mir gemeldet, der sagte: »Die Frau X schickt Ihnen ein Keyboard, wann können wir das liefern?«

Wow!
Ja! Ich saß gerade mit meinen Söhnen im Auto und der eine fragte: »Mama, wer ist das?« Ich sagte »Das ist ein Engel!« Ich hatte trotzdem erstmal Bedanken, meine Adresse durchzugeben, denn sowas passiert ja nicht jeden Tag. Aber dann habe ich es doch gemacht – und zwei Tage später kamen drei Personen mit Hocker, Tisch und einem richtig großen Keyboard zu mir. Ich war total gerührt! Wissen Sie, unter Reinigungskräften gibt es oft das Vorurteil, dass Privatpatienten reich, hochnäsig und geizig sind – und dann trifft man da so einen herzlichen, großzügigen Menschen!

»Es gibt auch Patienten, die Reinigungskräfte nicht als vollwertig ansehen«

Können Sie mittlerweile auf dem Keyboard spielen?
Ich hab mich gleich drangesetzt und mit Youtube angefangen zu lernen. Das ist ganz schön schwer, erst die rechte, dann die linke Hand und dann soll man das kombinieren, da hat mein Hirn manchmal gesagt: »Nö!« Im Mai kam die Trennung von meinem Partner dazu und ich hatte seitdem leider keinen Kopf zum Üben. Meine Kinder spielen aber auch damit.

Nicht jeder Patient kann solche Geschenke machen. Wie werden Sie für gewöhnlich behandelt?
Oft treffe ich in meinem Beruf wundervolle Menschen. Aber es gibt auch Patienten, die Reinigungskräfte nicht als vollwertig ansehen. Die einen ignorieren, wenn man »Guten Morgen« sagt. Wenn Patienten Magen-Darm-Erkrankungen haben, bedeutet das oft viel Arbeit für uns – und wenn ich drei Wochen lang dein Badezimmer geputzt habe, damit du dich dort ruhigen Gewissens hinsetzen kannst, dann erwarte ich wenigstens, dass du mich grüßt. Und ein Lächeln und ein »Danke« sind sehr viel wert.

Was war für Sie bisher die schwierigste Reinigung?
In meinem vorigen Job habe ich in der Bettenaufbereitung im OP-Bereich gearbeitet. Das bedeutete: Die benutzten Betten abholen, abziehen, putzen und wieder herrichten. Einmal habe ich ein schmutziges Bett abgeholt und mir nichts dabei gedacht – und als ich es dann abziehen wollte, war es voller Blut! Wirklich sehr viel Blut, als ob man einen Menschen geschlachtet hätte. Und es lagen noch OP-Reste drauf. Unter anderem ein Klumpen, der aussah wie der Teil einer Leber.

Puh. Werden Sie vom Klinikpersonal für diese Arbeit wertgeschätzt?
In der Klinik, in der ich vorher war, haben viele Schwestern oder Ärzte einen nicht mal angeguckt. Aber im Israelitischen ist das anders: Hier wirst du immer gegrüßt und wir frühstücken sogar mit dem Personal zusammen, was für mich etwas sehr, sehr Neues und Schönes ist! Wir werden auch zur Weihnachtsfeier eingeladen und sogar der Geschäftsführer fragt mich, wie es mir geht.