Die Gewissensfrage

»Ich war neulich bei einem Kollegen und seiner Frau eingeladen, schrecklichen Etepetete-Typen. Sie hatten Kellner, Koch und Klavierspieler engagiert, es gab ein Feinkostmenü. Weil ich schon ahnte, dass mich das alles nerven würde, brachte ich zwei Flaschen Wein mit, die ich zu je drei Euro beim Discounter gekauft hatte. Doch siehe da: Der Billigwein schmeckte allen wunderbar. So wunderbar, dass die Gastgeber und ihre Schickimicki-Freunde mich seither fragen, wo ich den Wein gekauft hätte, damit sie sich dort ebenfalls eindecken können. Ich bringe es nicht fertig, die Wahrheit zu sagen. Was soll ich tun?« KILIAN A., Hamburg

Ihre Geschichte könnte gut als Ausgangspunkt für eine Komödie dienen: Eine zunächst harmlose Lüge lässt sich plötzlich nur mehr schwer aufrechterhalten. Weil jedoch die Aufdeckung unangenehm wäre, reitet sich der Protagonist immer tiefer rein. Ich kann mir die Szenen ausmalen, wie Sie zunächst anbieten, den Wein persönlich beim angeblichen Geheimtipp-Weingut abzuholen, das zieht immer größere Kreise, bis Ihr Kollege eines Tages beiläufig erwähnt, nun zum ersten Mal zum Discounter fahren zu wollen. Ihre Aktionen, um das zu verhindern, böten reichlich Ansatzpunkte für Slapstick, von Ohnmachtsanfällen bis hin zu Karambolagen auf dem Firmenparkplatz.

Allerdings hat die Komödie hier eine pikante Note: Ihre anfängliche Täuschung war nicht völlig harmlos, sondern basierte auf, nennen wir es offen, Bosheit. Sie wollten ein Spiel mit den Ihnen unsympathischen »Schickimicki-Typen« treiben, indem Sie ihnen billigen Wein vorsetzten und sich amüsierten, als sie ihn erwartungsgemäß nicht als solchen erkannten. Womit Sie nicht rechneten, waren die Folgen. Was tun? Entscheidend scheint mir zu sein, ob eine Offenbarung hier nur Ihre eigenen unschönen Absichten aufdeckt oder auch Ihre Opfer bloßstellt. Letzteres sehe ich nicht, schließlich kann man beim Discounter manchmal vernünftigen Wein vergleichsweise günstig kaufen. Ob man das will, ist allerdings eine andere, auch moralische Frage. Der niedrige Preis spiegelt sich nämlich auch in der Behandlung der Angestellten und Lieferanten wider und damit indirekt im Umgang mit Natur und Gesellschaft. Wenn Sie dort kaufen, müssen Sie dazu stehen.

Deshalb spricht aus meiner Sicht wenig dagegen, die wahre Bezugsquelle offenzulegen, außer dass Sie sich als Schnäppchenjäger enttarnen und zugeben müssen, am Gastgeschenk geknausert zu haben. Aber das ist nun einmal der Fluch der bösen Tat.

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Illustration: Jens Bonnke