»Auf den dringenden Aufruf des lokalen Flüchtlingshilfevereins hin habe ich meine recht neue, sehr gute, wasserdichte Winterjacke gespendet und mir eine noch bessere Jacke gekauft, die mir auch noch besser gefallen hat. Nutze ich so die Spende aus, um mich guten Gewissens dem Konsum hinzugeben, mal abgesehen von dem Verlust von fast 200 Euro?« Hans F., Rosenheim
Ob Sie die Spende »ausnutzen«, können nur Sie beantworten. Schließlich geht es dabei um Motive des Handelns, die man von außen schwer beurteilen kann. Mit Ausnahmen: Falls Sie die neue Superjacke haben wollten, um es auf der nächsten Pegida-Demonstration warm und trocken zu haben, liegt auch für den Außenstehenden der Verdacht nahe, dass die Sorge um Flüchtlinge nicht der Grund Ihres Handelns, sondern eher vorgeschoben war.
Ansonsten aber gehe ich davon aus, dass zu helfen zumindest auch ein Grund für Ihre Spende war, und man muss sich überlegen, was es bedeutet, wenn eine gute Tat sowohl von eigennützigen als auch von fremdnützigen Motiven getragen wird.
Stellt man allein auf das Ergebnis einer Tat ab, haben Sie gut gehandelt, weil es allen besser geht. Ihnen mit der neuen Jacke und dem Empfänger mit der alten auch. Ihm ist nun warm, ganz gleich, warum Sie ihn bedacht haben.
Stellt man hingegen auf die Motive ab, ist das nicht so klar. Wenn Sie unbedingt eine neue Jacke wollten und die alte nur nicht mehr in die Mülltonne passte, hat das Spenden keine moralische Qualität. Umgekehrt jedoch eine sehr große, würden Sie Ihre Jacke weggeben und dann selbst frieren.
Ihr Fall liegt dazwischen, und wir kommen wieder dahin zurück, dass nur Sie wissen können, wo genau - also welches Motiv überwiegt. Allerdings würde ich persönlich die Latte hier nicht zu hoch hängen. Ich finde nicht, dass man leiden muss, um gut zu sein. Vielleicht wird man nicht heilig gesprochen und bekommt keine Laternenprozessionen zu seinen Ehren, wenn man, statt seinen Mantel zu teilen, den alten hergibt und einen neuen, schöneren kauft. Aber für irdische Anforderungen scheint mir Ihr Handeln zu reichen. Erstens haben Sie faktisch geholfen und zweitens Ihren Geldbeutel geteilt.
Literaturtipps:
Im Grunde handelt es sich hier wieder einmal um Immanuel Kants Trennung zwischen pflichtgemäßem Handeln und Handeln aus Pflicht.
Kants berühmte Unterscheidung zwischen Handeln aus Pflicht und pflichtgemäßem Handeln findet sich in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Akademie Ausgabe Band IV S. 397 ff.
Dies hat Friedrich Schillers Kritik in seiner bekannten spöttischen Xenie kritisiert:
Gewissensskrupel
Gern dien ich den Freunden, doch tu ich es leider mit Neigung,
Und so wurmt es mir oft, dass ich nicht tugendhaft bin.
Decisum
Da ist kein anderer Rat; du musst suchen, sie zu verachten,
Und mit Abscheu alsdann tun, wie die Pflicht dir gebeut.
Online zum Beispiel bei Zeno.org.
Schillers Kritik wird wiederum in der Kantforschung kritisiert, siehe zum Beispiel: Otfried Höffe, »Gerne dien ich den Freunden, doch tue ich es leider mit Neigung...«: Überwindet Schillers Gedanke der schönen Seele Kants Gegensatz von Pflicht und Neigung? Zeitschrift für philosophische Forschung, Bd. 60 (2006), S. 1-20
Ethische Theorien, die auf die Konsequenzen einer Handlung abstellen, nennt man konsequenzialistische Theorien. Einen Überblick bietet:
Sinnott-Armstrong, Walter, »Consequentialism«, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Spring 2014 Edition), Edward N. Zalta (ed.) (Hier online abrufbar.)
Der Hauptvertreter ist die Nützlichkeitsethik, der Utilitarismus, der auf Jeremy Bentham zurück geht. Bentham definierte folgendermaßen: »Unter dem Prinzip der Nützlichkeit ist jenes Prinzip zu verstehen, das schlechthin jede Handlung in dem Maß billigt oder missbilligt, wie ihr die Tendenz innezuwohnen scheint, das Glück der Gruppe, deren Interesse in Frage steht, zu vermehren oder zu vermindern.«
Jeremy Bentham, An Introduction to the Principles of Moral and Legislation, Oxford University Press, 1996 (Hier online abrufbar.)
Eine deutsche Übersetzung findet sich in dem von Otfried Höffe herausgegebenen Band »Einführung in die utilitaristische Ethik« Francke Verlag / UTB 3. Auflage 2003
Ebenfalls empfehlenswert ist das Kapitel »Der Utilitarismus« in dem Buch »Einführung in die Ethik« von Herlinde Pauer-Studer WUV / UTB 2003
Illustration: Serge Bloch