Nachdem ich einige Male an Wien gescheitert war – in der Stadt gewesen, aber hohes Fieber gehabt, also »in der Stadt« im Sinne von »im Hotelzimmer mit Ibuprofen«; selbst gesund gewesen, aber das System war krank geworden, weil sich die Welt ein potenziell tödliches Virus eingebrockt hatte; niemand krank gewesen, aber jemand gestorben –, habe ich es im Frühling endlich geschafft, kerngesund und voller Vorfreude in Wien zu landen. Es war April, mal kühl, mal warm, es gab ein bisschen Regen und ein bisschen Sonne, und manchmal kam Wind auf, es war insgesamt schön und gut auszuhalten, sofern klar war: Sobald es dunkel wird, gibt es was zu essen und zu trinken und zu bereden. Es war wie das Leben selbst. Abends, zum Essen und Trinken und für die morbid-lustigen Dialoge, traf ich mich mit Julia, Clara und Lena. Alle, auch die Vegetarierin, bestellten Fleisch mit irgendwas, das Fleisch kommt in Wien ja gern frittiert, und als ich überlegte, was ich dazu am besten trinken sollte, sagte Julia sehr bestimmt: »Gemischten Satz natürlich.«
Ich dachte noch mal: Das ist doch wie das Leben selbst. Auch die Sache mit dem frittierten Fleisch – es ist immer ein bisschen zu viel auf dem Teller, vom gesunden Grünzeug hingegen ist zu wenig da.
Und hier bitte schön der Gemischte Satz: grob gesagt ein Weißwein-Verschnitt, elegant gesagt eine Cuvée. Für den herkunftsmäßig geschützten österreichischen Gemischten Satz müssen mindestens drei Rebsorten verwendet werden, meistens sind es aber mehr, und rein dürfen etwa Weißburgunder, Riesling, Silvaner, Traminer, Grüner Veltliner, Müller-Thurgau, Chasselas, Elbling, Fütterer, Muskateller, Neuburger, Orleans, Zierfandler. Dabei werden nicht die fertigen Weißweine gemischt, sondern die Trauben werden von Anfang an zusammen an einem Weinberg angebaut und dann auch gemeinsam vergoren, finden sich also früh, und ihre Kombination wird vom Winzer (den Strukturen) vorgegeben, und dann machen sie halt das Beste draus. Voilà, Leben.
Wie es der Teufel wollte, traf ich in Wien auch den ukrainischen Freund, der immer behauptet, Gott sei sein Vater, der Teufel aber sein Busenfreund. Er war wie ich auf der Durchreise, und so verbrachten wir einen Abend zusammen. Als wir den Punkt »Essen« ausgesucht hatten, stellte er die »Trinken«-Frage, und ich sagte, die von mir bewunderte Julia imitierend: »Hallo, mein ukrainischer Freund, wir sind in Österreich, wir trinken natürlich Gemischten Satz.« Er lächelte, erinnerte sich offenbar an etwas, das er schon mal hatte oder das wir schon mal hatten, und sagte, wie es seine Art ist: »Absolut.«
»Wir trinken inzwischen alle Whisky, aber so wie Wodka, also schnell und viel, damit die Nacht leichter ist«
Essen und Trinken und die Dialoge dazu klappten gewohnt gut bei uns, es war wie üblich mehr lustig als morbide, Morbidität versucht er sich zurzeit eh meistens von der Seele zu halten, was ich verstehen kann, so gut ich es eben verstehen kann.
Am Ende, draußen regnete es, und auch der Wind blies, dachten wir an einen Digestif und ließen uns noch mal die Karte bringen. Ich bin ja bei Spirituosen grundsätzlich für Wodka, aber mir ist klar, dass das in der Ukraine gerade nicht gut ankommt. Der ukrainische Freund sagte: »Wir trinken inzwischen alle Whisky, aber so wie Wodka, also schnell und viel, damit die Nacht leichter ist.«
Es gab fünf verschiedene Whiskysorten zur Auswahl, und ich dachte kurz darüber nach, einfach einen gemischten Satz Whisky zu bestellen, aber er sagte: »Wir nehmen den taiwanischen. Taiwan, das sind unsere Freunde, die müssen wir unterstützen.«
Der Gemischte Satz aus Essen und Trinken und den Dialogen, der ist wie das Leben selbst, quod erat demonstrandum.