»Wenn ich in einen Supermarkt gehe, habe ich wie Tausende Menschen nichts anderes vor, als meine Einkäufe ehrlich zu bezahlen. Leider muss ich dabei immer wieder die schlechte Erfahrung machen, dass jeder Kunde vom Personal an der Kasse mit offensivem Argwohn als potenzieller Ladendieb behandelt wird. Ich muss durch Gewähren eines Blicks in meine Taschen beweisen, dass ich nichts stehle. Neulich musste ich sogar den Kinderwagen, in dem meine Enkelin schlief, misstrauisch mustern lassen. Wie kann ich solchem Verhalten begegnen, dass ich meine Würde bewahre und als Kundin Königin bleibe?« Irmgard M., per Mail
Im Jahr 2005 hielt David Foster Wallace vor dem Abschlussjahrgang des Kenyon College, einer Privatuniversität in Ohio, eine Rede, die anschließend als Audiomitschnitt, transkribiert und schließlich auch in Buchform um die Welt ging. Sie ist als »This is Water«-Rede bekannt. Es dürfte eine der schönsten Reden sein, die jemals gehalten wurden – zumindest, was die überlieferten betrifft –, aber Wallace war ja auch der klügste und lustigste amerikanische Schriftsteller mindestens seiner Generation. Und der traurigste. 2008 nahm er sich während einer schweren Depression das Leben, er wurde nur 46 Jahre alt.
In seiner Rede geht es um die große Frage, wie man ein gutes Leben führt. Es ist schade, sie zusammenzufassen, weil auch die Form dieser Rede brillant ist. Sie beginnt mit einem Witz. Ein älterer Fisch schwimmt an zwei jungen Fischen vorbei und sagt: »Morgen, Jungs, wie ist das Wasser?« Die beiden schwimmen weiter, irgendwann schaut der eine den anderen an und sagt: »Was zum Teufel ist Wasser?«
Wallace zufolge besteht die Kunst darin, sich darüber bewusst zu werden, dass das, was man unbewusst denkt, nicht unbedingt stimmt. Angefangen damit, dass wir, Sie und ich und wir alle, nicht das Zentrum des Universums sind. Auch wenn es sich natürlich verdammt danach anfühlt, da wir ja alles erst mal spontan aus der eigenen Perspektive sehen. Wallace nennt das unsere Werkseinstellung. Es geht darum, den Automatismus überwindend seine eigene, individuelle Einstellung vorzunehmen. In diesem Sinne lässt sich a) feststellen, dass niemand Sie persönlich im Supermarkt des Diebstahls verdächtigt. Es wird einfach viel gestohlen, weshalb man generell verstärkt kontrolliert. Und b): Sie haben die freie Wahl, ob Sie sich von der zweifellos unschönen Weise, wie man Sie im Supermarkt behandelt, beleidigt fühlen oder nicht. Das verleiht Ihnen Macht. Und Würde.