»Vor Kurzem ist meine Schwiegermutter gestorben, die ich geliebt habe, als wäre sie meine Mutter gewesen. Sie hat meinem Mann ziemlich viel Geld hinterlassen. Mein Mann möchte nun mit dem Geld alles Mögliche an unserem Haus fertigstellen, ich denke jetzt ständig darüber nach, wie lange meine Schwiegermutter, die keine üppige Rente bekam, für dieses Geld gespart haben muss. Mir kommt es fast schon falsch vor, dieses Geld überhaupt auszugeben. Oder?« Anke S., Solingen
Ich kann Sie gut verstehen, mir ginge es wahrscheinlich genauso, ich würde das Geld auch am liebsten nicht antasten, aber damit lägen wir beide total falsch. Es wäre absolut nicht im Sinne Ihrer Schwiegermutter, mit dem Geld, das sie hinterlassen hat, nichts Schönes zu unternehmen. Das würde sogar all ihr Sparen im Nachhinein für nichtig erklären. So hatte sie es sich bestimmt nicht gewünscht: dass ihr Sohn es auf der Bank lässt und zusieht, wie die Inflation es langsam auffrisst. Oder, Inflation beiseite, dass er es einfach als Geld belässt.
Ich glaube, Sie müssen sich das alles nicht zu traurig denken. Wahrscheinlich hat sie das Geld gerne zur Seite gelegt, sie hat es jedenfalls aus freien Stücken getan. Und, wenn es immer schon für ihren Sohn bestimmt war, aus Liebe. Die Vorstellung, ihm etwas hinterlassen zu können, wird sie glücklich gemacht haben. Anders kann es doch gar nicht sein. Und jetzt mal ehrlich, seine Idee, es in Ihr Haus zu stecken, ist doch perfekt. Würde man davon eine Weltreise machen oder, was weiß ich, zwanzig Kisten Jahrgangs-Champagner kaufen, wäre das Geld danach einfach weg. Das Haus bleibt. Insofern entspricht es doch eigentlich dem Bedürfnis, das Sie haben, nämlich das Ersparte nicht einfach zu verjubeln, sondern damit so umzugehen, dass es Ihre Schwiegermutter ehrt. Meinen Sie nicht, die hätte sich darüber gefreut, wenn Sie endlich den Dachboden ausbauen können oder andere Fenster haben, durch die mehr Licht fällt? Oder die Küche mit Terrazzo-Boden auslegen, so wie es immer Ihr Traum war? (Oder meiner.) Das Leben ist jetzt. Man muss es sich so gut machen, wie es geht, denn es ist irgendwann vorbei. Und dann wird niemandem damit genutzt sein, dass man bescheiden ausgeharrt und abgewartet hat, bis es zu spät war.