Zwei Pakete pro Woche

In der Nachbarschaft lebt eine Seniorin, die viel bei Versandhäusern bestellt. Zu viel, wie unser Leser glaubt. Aber geht ihn das überhaupt etwas an?

Illustration: Serge Bloch

»Neben uns lebt eine über 90-Jährige, Stammkundin mehrerer Versandhäuser. Zwei Pakete pro Woche werden mindestens geliefert. Gelegentlich landen ihre Kataloge in unserem Briefkasten. Neuerdings gebe ich sie zum Alt­papier. Die Erinnerung an eine Tante spielt da mit. Als sie in hohem Alter starb, hinterließ sie das reinste Warenlager, darunter mehrere nagelneue Rucksäcke. Die Tante war in jungen Jahren Wanderin. Ich finde an meinem Verhalten nichts Kritikwürdiges. Sie?« Atze S., Rütenbrock

Ihre Frage hat mich in Ordnungslaune versetzt. Es muss der Gedanke an die Hinterlassenschaften Ihrer Tante gewesen sein – wir müssen hier jedenfalls dringend sortieren. Die vielen nagelneuen Rucksäcke Ihrer gestorbenen Tante haben nämlich in Ihrer Frage nichts zu suchen. Wir nehmen sie also wieder heraus und lassen sie, wo sie ihren Platz hatten: im Leben Ihrer Tante. Vielleicht hat diese der Anblick der vielen unbenutzten Rucksäcke gefreut oder be­ruhigt, was wissen wir schon über die Nöte anderer Leute? Vielleicht war es ihr aus Gründen, die in ihrer Biografie liegen, ein Bedürfnis, sich diesen Luxus zu leisten. Ich kannte mal eine Frau, die ständig Kochtöpfe kaufte, weil das irgendwelche Ängste von ihr linderte. Dabei kochte sie noch nicht einmal. Aber ihre ganze Küche war voller Töpfe, wo man hinsah, standen oder hingen welche, ihr half das. Dass Sie nach dem Tod Ihrer Tante kurz nicht wussten, wohin mit dem Zeug, halte ich für ein sehr kleines Problem. Es ist nicht die Aufgabe von Menschen, so zu leben, dass sie andere durch ihren Tod nicht mit unnötigen Gegenständen belasten. Verschenken lässt sich doch alles.

Nun zu Ihrer Frage, die durch das Streichen der Rucksäcke doch auch gleich viel mehr an Kontur gewonnen hat, finden Sie nicht? Im Kern geht es also um Folgendes: Haben Sie das Recht, darüber zu entscheiden, wie und womit Ihre hoch betagte Nachbarin ihre Tage verbringt? Wie ­kämen Sie dazu? Bitte nehmen Sie Ihrer Nachbarin nie wieder irgendetwas weg, was ihr Leben vielleicht bereichert, Sie müssen das auch gar nicht verstehen. Heben Sie in Zukunft alles auf, was versehentlich in Ihrem Briefkasten landet. Klingeln Sie bei ihr, überreichen Sie ihr die Dinger und fragen Sie sie bei dieser Ge­legenheit doch auch einfach mal, wie es ihr geht.