Gemeinhin gibt es zwei Erklärungen dafür, dass Menschen bei sich zu Hause keine Gardinen vor die Fenster hängen. Erklärung eins ist eine calvinistische Erziehung: »Wir haben nichts zu verbergen!« Erklärung zwei ist kapitalistischer Exhibitionismus: »Schaut ruhig, was ich alles habe!« So oder so sieht man bei Nachbarn manchmal Vorgänge und Dinge, die man sich lieber erspart hätte. Es gibt allerdings noch eine dritte Erklärung für freie Einblicke: Es wurden einfach keine schönen Gardinen gefunden. Allein um dieses Argument zu widerlegen, sollte man einmal im »Hôtel du Temps« gewohnt haben. Wenn man dort am Morgen die festen, mit großen Blumen oder Blättern bedruckten Vorhänge aufzieht, fühlt sich der Tag gleich strahlender an. Und abends, wenn man am Fenster zum Hof steht und die Nachbarn von Gegenüber beim Abwasch beobachtet, ist man noch zufriedener, solche Alltäglichkeiten ausblenden zu können. Denn man selbst hat ja ausnahmsweise nichts dergleichen zu tun, sondern wird gleich runter an die kleine Hotelbar gehen, um einen Aperitif zu trinken. Danach bekommt man von dem jungen Mann an der Rezeption und manchmal sogar vom Hotelbesitzer selbst auch stets die besten Restaurantempfehlungen. Etwa das »Mamagoto«, das »Richer« oder das indische »Saravanaa Bhavan«. In jedem der drei vergeht der Abend wie im Flug, sodass man ganz bald wieder die Gardinen zuziehen darf.
Hôtel du Temps
11, rue de Montholon F-75009 Paris
Tel. 0033/1/47 70 37 16
DZ ohne Frühstück ab 120 Euro