Kann schon sein, dass man an der Nordsee mehr von Tee versteht. Die hochkarätigeren Teekränzchen aber hat die Ostsee zu verbuchen: Auf Usedom empfing Frau Konsul Elisabeth Staudt regelmäßig Kaiser Wilhelm II. in ihrer Villa an der Heringsdorfer Seebrücke. Wann immer die gelb-blau lackierten Automobile von Wilhelm II. gesichtet und die kaiserliche Standarte aufgezogen waren, füllten sich Promenade und Seebrücke, und man zerriss sich das Maul und zerbrach sich den Kopf über den Kaiser und die in Wirtschaftsfragen bewanderte Witwe. Ob die beiden nur die angeregten Gespräche oder mehr verband, wissen wohl nur die Wellen.
Mehr als hundert Jahre später ist der Ort ihrer Teestunden, die »Villa Staudt«, ein behutsam saniertes Zeugnis Ostsee’scher Bäderarchitektur – außen. Innen hat die Moderne in Form dänischer Sideboards und grauer Sofas Einzug gehalten. Von der Ostsee trennt den Gast nur die Promenade, auf der man bis ins zwölf Kilometer entfernte Swinemüde in Polen spazieren kann. Heringsdorf selbst bereitet sich nicht mehr wie früher mit ausgelegten Quallen und Seetang auf seine Gäste vor, auch wird kein Bernstein mehr in den Sand gestreut, wie Kurt Tucholsky 1922 beobachtete. Aber auf dem Ruhebett hinter dem Rundfenster, unter dem Dach der Villa, vor sich nichts als die Ostsee, braucht man keine Extravaganzen. Vielleicht eine Tasse Friesen-Tee. Für den Usedomer Sanddorn-Tee muss man wohl Einheimischer sein.
Villa Staudt
Delbrückstr. 6
17424 Heringsdorf
Tel. 030/40 00 58 98
Apartments ab 145 Euro pro Nacht.