Wenn die Welt plötzlich Kopf steht

Wir stellen Ihnen jede Woche junge, talentierte Fotografen vor. Diesmal: Carlos Tettamanzi und sein Blick in die spiegelnden Londoner Pfützen

Normal 0 21 Name: Carlos Tettamanzi
Jahrgang:
1990
Ausbildung:
technisch-künstlerisch ausgerichtetes Gymnasium in Mailand, freier Assistent in London
Kontakt:
http://www.flickr.com/photos/carlos_tettamanzi/



SZ-Magazin: Herr Tettamanzi, stand Ihre Welt Kopf, als Sie diese Fotos geschossen haben?
Carlos Tettamanzi: Nein, das war nur meine Perspektive. Kennen Sie dieses Gefühl, das einen manchmal überkommt, wenn man in den Spiegel schaut? Diese leise Ahnung, dass man vielleicht einen Doppelgänger hat, der zwar gleich aussieht, die Welt aber auf eine völlig andere Weise erlebt? Und genauso ist es doch, wenn man Dinge auf den Kopf gestellt betrachtet: Plötzlich tut sich ein völlig neues Universum auf, auch wenn sich letztendlich nur der eigene Blickwinkel geändert hat.   Aber Sie haben sich doch nicht auf den Kopf gestellt mit Ihrer Kamera?!
Nein, keineswegs - ich habe die Fotos umgedreht. Probieren Sie es doch einfach mal aus, dann sehen Sie, dass es sich um relativ gewöhnliche, wenn auch, wie ich finde, poetische Schwarzweißaufnahmen handelt. 

Was ist denn das für eine neblig-trübe Stadt, die Sie fotografiert haben?

London. Ich war erst vor kurzem dort angekommen, wollte die Stadt erkunden und meine Eindrücke auf Fotos festhalten. Jedoch hatte ich auf die üblichen Touristenfotos wenig Lust. Es ging mir eben nicht darum, die roten Doppeldeckerbusse zum zigtausendsten Mal zu fotografieren. Da dachte ich mir, ich könnte doch einmal ausprobieren, Eindrücke aus Londons belebten Straßen aufzunehmen, um diese dann später einfach umzudrehen. Ohne Wasser als spiegelnde Oberfläche hätte das Ganze natürlich nicht funktioniert.  

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Dann war das berüchtigte schlechte Wetter dort gut für Sie! 
Ja, das ständig wechselnde Wetter mag viele andere nerven, mich aber faszinieren die ständigen Lichtveränderungen. Der Himmel ist nie einfach nur grau oder blau. Mal ziehen dicke Regenwolken auf, doch es vergehen oft keine fünf Minuten, da blitzt schon wieder die Sonne durch. Aus diesen Lichtspielen lassen sich tolle Fotos machen, da das Motiv bei unterschiedlichem Lichteinfall jedes Mal vollkommen anders aussieht. Außerdem gefällt mir an London der Mix an Kulturen. Immer wieder staune ich über Familien, deren Mitgliedern den verschiedensten Ethnien angehören. So was gibt es bei uns in Italien noch viel zu selten.

Welche Fotografen haben Sie in Ihrer eigenen Arbeit am meisten beeinflusst?
Meine größten Vorbilder sind Henri Cartier-Bresson und Robert Doisneau. An Doisneau gefällt mir, dass er gerade die kleinen Leute im täglichen Leben fotografiert hat. Auch ich wähle ja vor allem alltägliche Motive, die eigentlich erst durch das Festhalten auf einem Foto oder einem gemalten Bild, ja auch durch eine Beschreibung in einem Roman, zu etwas Besonderem werden. Ein gewöhnliches, gänzlich unspektakuläres Motiv kann durch die richtige Technik zu einem Kunstwerk werden. Auch wenn ich Menschen fotografiere, verfolge ich die gleiche Strategie: Die perfekte Schönheit ist für mich reizlos. Ungewöhnliche, nicht klassisch schöne Gesichter finde ich weitaus spannender.  

Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Demnächst werde ich erstmal einen Abendkurs in Graphikdesign am Central Saint Martins College of Art and Design belegen, in der Hoffnung, daraufhin die Aufnahmeprüfung für den regulären Studiengang zu bestehen. Ich will mir so viel wie möglich aneignen und glaube, auch für Graphik ein ganz gutes Händchen zu haben, jedoch ist mein Berufsziel nach wie vor Fotograf.