Mit einem herzhaften »F-U-C-K«, aus dreihunderttausend Kehlen hervorgebrüllt, protestierte in Woodstock die Hippie-Generation gegen Vietnam-Krieg und Spießertum. Den Schlachtruf vorgegeben hatte Country Joe McDonald; sein Auftritt gilt als ein Höhepunkt des legendären Festivals, das vor 40 Jahren stattfand. Im Interview spricht Country Joe über seine Vorliebe für Woody Guthrie und erklärt, warum Woodstock doch nicht so politisch war, wie es den Anschein hat.
Country Joe McDonald, am ersten Tag des Festivals sind Sie zur Woodstock-Legende geworden: Wegen des Verkehrschaos waren viele Künstler noch gar nicht eingetroffen, und Sie haben sich spontan bereiterklärt, auf die Bühne zu gehen. Plötzlich standen Sie einer Menge von mehreren hunderttausend Leuten gegenüber.
Ich mag es, allein mit meiner Gitarre aufzutreten. Deshalb habe ich mich auf der Bühne eigentlich ganz wohl gefühlt, trotz der riesigen Menschenmenge. Was allerdings schwierig war: Die Leute haben anfangs nicht wirklich auf mich reagiert. Deshalb war ich total überrascht, dass alle geantwortet haben, als ich rief: »Give Me an F«.
Wie erklären Sie sich diesen plötzlichen Gefühlsausbruch?
Die Leute hatten schon vom »Fish Cheer« gehört, denn wir hatten ihn schon beim Schaefer Beer Festival ausprobiert. Sie wussten nicht, wer ich war, aber sie kannten den »I-Feel-I’m-Fixin’-To-Die-Rag« und den »Fish Cheer« – und sie waren in der Stimmung mitzumachen.
»Woodstock war ein kapitalistisches Unterfangen. Und Woodstock war Entertainment«
Wie wichtig war Politik in Woodstock?
Woodstock war ein kapitalistisches Unterfangen. Und Woodstock war Entertainment. Manche der Künstler waren sogar ein bisschen altmodisch, zum Beispiel Joan Baez, Shanana und Bluesbands wie Ten Years After. Aber der ganze elektrische Rock’n’Roll war nicht altmodisch. Der hatte damals immer noch etwas radikales. Rock’n’Roll war das Symbol einer Jugendkultur, die gegen den Status Quo war, und die dadurch ganz automatisch auch wirtschaftliche, soziale und politische Implikationen hatte. Aber ich glaube, mein »Feel-I’m-Fixin-To-Die-Rag« war das einzige offen politische Statement, das während dieser drei Tage auf der Bühne gemacht wurde. Es war überraschend, wie gut der Song ankam.
Für viele ist Ihr Song der entscheidende Woodstock-Moment.
Es gab viele Woodstock-Momente, aber das war einer der wichtigsten, weil er vom Vietnam-Krieg handelte. Und zwar auf originelle, witzige, punkartige Weise.
Was bedeutete Woodstock für die Entwicklung des Rock’n’Roll?
Mit Woodstock wurde der Rock’n’Roll zur Musik der Mittelklasse. Deshalb gibt es heute alle möglichen Spielarten des Rock’n’Roll: konservativ, religiös, radikal und so weiter. Ich glaube, es gab vorher oder nachher kein musikalisches Genre, auf das die Menschen so intensiv reagiert haben wie auf den elektrischen Rock’n’Roll der Sechzigerjahre.
Während ihres Sets haben Sie auch Countrysongs wie »Ring Of Fire« und »Tennessee Stud« gespielt. Wie sind die denn angekommen?
Nicht besonders gut. Ich bin mit Countrymusik aufgewachsen und habe diese Songe geliebt, aber an der Ostküste hat sich keiner für Countrymusik interessiert. Von den ganzen Leuten in Woodstock hatten bestimmt nur sehr wenige diese Songs überhaupt je gehört.
Im Dezember 1969 haben Sie eine LP namens Thinking Of Woody Guthrie veröffentlicht, auf der sie Songs des berühmten Folksängers covern. Wieso haben Sie auf dem Höhepunkt der Hippie-Bewegung dieses Album gemacht?
Ein paar Monate vor Woodstock war ich in Nashville an einem Ort namens Bradley’s Barn; das war ein Studio, in dem damals eine Menge Countryhits aufgenommen wurden. Ich hatte einen Vertrag mit Vanguard als Solo-Performer und die hatten die Idee gehabt, dass ich eine Country-Platte machen solle. Wir hatten das Studio für drei Tage gebucht, aber die Musiker waren so gut, dass wir recht bald mit den Songs fertig waren und noch Zeit für eine weitere LP hatten. Da kam uns die Idee, mit diesen großartigen Musiker eine Platte mit Woody-Guthrie-Songs aufzunehmen.
Sie waren damals eine Galionsfigur der Hippies. Wie haben die Studiomusiker in Nashville Sie behandelt?
Recht herablassend. Sie haben Witze über Marijuana gemacht. Aber sie waren Profis und daran gewöhnt, für jeden zu spielen und immer eine gute Performance hinzulegen. Von Woody Guthrie hatten sie noch nie gehört.
Stimmt es, dass Sie als Kind einmal bei einem Auftritt von Woody Guthrie waren?
Nein, ich habe ihn nie getroffen. Aber meine Eltern hatten Schellack-Platten mit seiner Musik, und so habe ich seine »Dust Bowl Ballads« schon gehört, als ich sieben Jahre alt war. Die kamen mir damals aber nicht außergewöhnlich vor. Mein Vater war ein Dust-Bowl-Flüchtling, genau wie Woody, und ein Cowboy, und was Woody sang, deckte sich mit der Geschichte meiner Familie.
Ab Mitte der Sechziger waren Sie Teil der radikalen Studenten-Kultur in Berkeley und San Franciso. Haben die Songs von Woody Guthrie in dieser Szene eine Rolle gespielt?
Nein, »Joe Hill« war das einzige Arbeiterlied, das man kannte. Auch meine Woody-Guthrie-Platte ist ziemlich untergegangen, ich weiß nicht mal, ob es überhaupt Rezensionen gab.
Dennoch singen Sie seine Lieder bis heute.
Ich habe seit 2001 eine Show namens »A Tribute To Woody Guthrie«, bei der ich aus seinem Leben erzähle und seine Songs singe. Das war eigentlich nur als einmalige Veranstaltung geplant, hat sich aber als überraschend populär herausgestellt. Dazu trägt bestimmt bei, dass viele von Woodys Songs zwar zu seiner Zeit sehr radikal waren, inzwischen aber ein bisschen nostalgisch wirken – und sehr hoffnungsvoll.
Woody Guthrie ist heute einer der großen Helden der amerikanischen Kultur.
Ja, er ist eine Ikone. Vor allem wegen seines Songs »This Land Is Your Land«, den Pete Seeger bei den Feiern zu Obamas Amtseinführung gesungen hat. Kaum zu glauben, was dieser Song für einen Weg zurückgelegt hat!
Hätten Woody Guthries Songs Anklang in Woodstock gefunden?
Hm, das weiß ich nicht. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, »This Land Is Your Land« zu singen. Irgendwie mochte ich den Song damals nicht. Er kam mir etwas angestaubt vor, und ich war schließlich ein junger Mann, der alles kritisiert und hinterfragt hat. Ich weiß auch gar nicht, ob die Leute im Publikum den Text kannten. Heute lernt man den Song in der Schule, aber damals hätte wahrscheinlich niemand mitgesungen.