»Es ist mir sehr wichtig, dass sich die Hörer ein bisschen unwohl fühlen«

Im Pop muss Raum sein für bizarre Projekte, oder? Das dürfte sich auch David Byrne gedacht haben, der dieser Tage einen Songzyklus über das Leben von Imelda Marcos veröffentlicht. Im Interview verrät er, was ihn an der Diktatorengattin interessiert und warum er das naheliegendste Thema komplett ausgespart hat.

Foto: Nonesuch/Warner

Als ich zum ersten Mal von David Byrnes neuen Album las, traute ich meinen Augen kaum: Der ehemalige Frontmann der Talking Heads habe, so hieß es, das Leben von Imelda Marcos vertont! In der Tat: Byrne hat einen 22 Lieder umfassenden Songzyklus komponiert, über das Leben jener Frau, deren Ehemann Ferdinand Marcos von 1965 bis 1986 als brutaler Diktator über die Philippinen herrschte und an die man sich vor allem wegen der 3000 Paar Schuhe und 1000 Handtaschen erinnert, die in ihrem Palast gefunden wurden.

Am vergangenen Freitag ist Here Lies Love erschienen – als Doppel-CD und als opulenter Bildband mit zusätzlicher DVD. Die Musik hat Byrne zusammen mit Fatboy Slim komponiert, etliche illustre Gastsängerinnen und -sänger sind auch dabei: Tori Amos, Martha Wainwright, Steve Earle, Cyndi Lauper, Natalie Merchant und Florence Welch, um nur einige zu nennen. Vor zwei Wochen hatte ich Gelegenheit, mit David Byrne zu sprechen. Hören wir, was er über sein Großprojekt zu sagen hat.

David Byrne, Sie haben es erstaunlicherweise geschafft, einen Songzyklus über Imelda Marcos zu schreiben, ohne ihre legendäre Schuhsammlung zu erwähnen!
Dafür gab es zwei Gründe. Zum einen endet meine Geschichte, als das Ehepaar Marcos aus dem Palast in Manila vertrieben wird; die Schuhe wurden aber erst danach gefunden. Außerdem sind die Schuhe das einzige, was die Leute über Imelda wissen. Die Schuhe sind ein Witz – hätte ich sie erwähnt, dann hätte ich ständig gegen diesen Witz kämpfen müssen. Das wollte ich nicht. Deshalb kommen die Schuhe nicht vor.

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Warum haben Sie Imelda Marcos zur Hauptfigur eines so aufwändigen Werks gemacht? Sie war die Frau eines brutalen Diktators, der sein Volk ausgeplündert hat.
Mit der Unterdrückung auf den Philippinen habe ich mich nicht beschäftigt, genauso wenig wie mit den Schweizer Nummernkonten. Ich streife diese Dinge allenfalls am Rande. Mir ging es um andere Themen: Wie gelangt jemand überhaupt in eine solche Machtposition? Was treibt diese Machtmenschen an? Wie rechtfertigen sie ihre Taten vor sich selbst?

»Im Studio 54 war ich nur ein einziges Mal. Da ging es um Drogen und VIP-Geschnatter, das war nicht meine Welt«

Sie zeichnen ein differenziertes, teilweise positives Bild von Imelda Marcos.
Um jemanden wie sie zu verstehen, muss man sich ein bisschen in sie einfühlen, die psychologischen Motive ihres Handelns nachvollziehen. Was die Menschenrechtsverletzungen angeht: So etwas gab es beileibe nicht nur unter Marcos. Er war ziemlich brutal, aber letzten Endes verhält sich jeder genauso, der absolute Macht erlangt, ob das nun Dick Cheney ist oder Berlusconi. Es ist unvermeidlich: Je mehr Macht sie haben, desto mehr werden sie diese Macht missbrauchen. Das liegt in der menschlichen Natur. Die Menschen können sich nicht im Zaum halten, das hat man gerade erst wieder bei den Bankern gesehen.

Wofür steht die Geschichte von Imelda Marcos? Was ist die tiefere Bedeutung Ihres Albums?
Ich denke, das Album erzählt zwei Dinge. Zum einen das, was ich gerade gesagt habe: Machtmissbrauch ist unvermeidlich, sobald man die absolute Macht erreicht hat. Das andere Thema: Mächtige Menschen werden von Dingen angetrieben, die in ihrem früheren Leben passiert sind, von komplexen psychologischen Motiven. Im Falle Imeldas war das die Tatsache, dass sie als junge Frau aus dem gesellschaftlichen Milieu herausgehalten wurde, zu dem sie sich zugehörig fühlte. Sie kam aus einer angesehenen Familie, aber stand am Rande. Es scheint, als habe sie diese Ablehung nie vergessen. Das hat womöglich dazu beigetragen, dass sie so mächtig wurde.

Wenn man Ihre Platte hört, kommt einem Imelda Marcos stellenweise gar nicht so unsympathisch vor. Ich weiß nicht, ob mir das gefällt. Es ist mir sehr wichtig, dass sich die Hörer ein bisschen unwohl fühlen. Dass sie das Gefühl haben, gegen ihren Willen zu etwas verführt zu werden. Gute Lieder haben diese Kraft: Sie reißen den Hörer mit, trotz intellektueller Vorbehalte.

Imelda Marcos lebt noch. Haben Sie Kontakt mit ihr gehabt?
Als ich auf den Philippinen war, haben einige Freunde versucht, ein Treffen zwischen uns zu arrangieren. Aber Imelda hatte die Grippe. Ich bin allerdings auch nicht sicher, ob sich das Treffen überhaupt gelohnt hätte. Wahrscheinlich wäre es wie ein Audienz beim Papst gewesen.

Was meinen Sie, wie sie auf Ihr Album reagieren wird?
Einige Passagen wird sie bestimmt nicht mögen. Im Grunde aber glaube ich, dass sie sich von diesem Projekt geschmeichelt fühlen wird.

Imelda Marcos war Ende der Siebziger Stammgast in den New Yorker Discos, und so ist auch Ihr Album von den Clubsounds dieser Zeit inspiriert. Sie haben damals selbst in New York gelebt. Was für Erinnerungen haben Sie an die Disco-Szene?
Im Studio 54 war ich nur ein einziges Mal. Da ging es um Drogen und VIP-Geschnatter, das war nicht meine Welt. Aber ich mag die Musik dieser Ära: Soulmusik aus Philadelphia und Detroit, genauso wie den Technofunk, der in den frühen Achtzigern in New York entstand. Das hat mir alles gefallen, obwohl ich ein Rock’n’Roller war.

Mit den Alben Remain In Light und Speaking In Tongues haben sich die Talking Heads der Clubmusik angenähert.
Ja, einen Groove zu haben, zu dem man tanzen kann, war immer sehr wichtig für mich.

Im Booklet von Here Lies Love erwähnen Sie auch einen pragmatischen Grund für ihr Großprojekt: den Tod des Albums. Mit Songzyklen, die eine Geschichte erzählen, könne man die Menschen leichter dazu bringen, ein komplettes Album anzuhören. Ist der Tod des Albums ein großer Verlust?
Nicht wirklich. CDs waren hässlich. Ich werde sie nicht vermissen. Ab und zu hat jemand eine Platte gemacht, bei der man spürte, dass die Songs eine konzeptionelle oder klangliche Einheit besitzen. Aber solche Alben sind selten. Eine neue Form der Musikorganisation wird sich entwickeln, die auf dem Computer und auf dem Handy funkioniert und nicht nur Songs beinhaltet, sondern auch andere Medien. Die CD war ein Zwischenstopp auf dem Weg dorthin.

Leider wird die Soundqualität schlechter.
Ja, stimmt. Wobei MP3s heute nicht mehr ganz so schlecht klingen wie am Anfang. Dennoch zeigt das, dass die Soundqualität den meisten Leuten ziemlich egal ist. Sie wollen, dass der Song ok klingt und ihnen auf Knopfdruck zur Verfügung steht.

Zum Abschluss noch eine Frage, die etwas weit hergeholt erscheinen mag: Here Lies Love  hat mich auch an Ihren Film  True Stories erinnert, bei dem Sie schon vor über zwanzig Jahren andere Leute Ihre Songs haben singen lassen. Meine Lieblingsperformance aus diesem Film stammt von Gospel-Legende Pops Staples. Sagen Sie ein paar Worte zu diesem eindrücklichen Auftritt.
Pops Staples war ein sehr ernster Mensch. Er wollte alles über »Papa Legba« wissen, den Song, den er singen sollte. Er wollte sichergehen, dass es kein böser Song ist. Ich habe ihm erklärt, dass der Song aus der mexikanischen Santera-Kultur kommt, aber nichts mit Voodoo oder Zombies zu tun hat. Das hat ihm geholfen, den Song zu verstehen. Ich hoffe, ich kann irgendwann eine Version der Platte True Stories rausbringen, auf der die Schauspieler singen."