2023, jetzt siehst du ganz schön alt aus

Was waren die wichtigsten Modethemen des vergangen Jahres? Über Handtuch-Röcke, schmale 2000er-Brillen und die überraschende Garderobe von Taylor Swifts neuem Freund.

Ein Test für Aufmerksame: Finden Sie das überflüssigste Label und das ikonischste Bild des Jahres in unserer Zusammenstellung?

Fotos: Instagram, Getty Images, Instagram, Getty Images, Balenciaga

1. Gimmick des Jahres: Handtuchrock Balenciaga

Sich ein Handtuch um die Hüften wickeln, aber in der gehobenen 695-Euro-Version.

Foto: Balenciaga

Eine Clutch in Form einer Chipstüte, Kreditkarten als Ohrringe: Balenciaga nimmt gern Alltagsgegenstände und überhöht sie – vor allem preislich. Im November ging ein beigefarbener »Towelskirt« viral, der im Grunde mehr schneller Wurf als richtiger Entwurf war: Als hätte man sich mal eben ein Handtuch um die Hüften (und die beigefarbene Hose) gewickelt, aber zum Preis von 695 Euro. Die Reaktionen reichten von »genial banal« bis »jetzt sind die Franzosen endgültig schief gewickelt«. Aufmerksamkeit bringt das natürlich. Ikea antwortete sogar mit einer Persiflage und bewarb das Handtuch »Vinarn« exakt so gestylt, aber für 14 Euro. Was kommt als nächstes? Duschhaube als Mütze? OP-Kittel als Kleid? Socken als Sneaker? (Letztere sind natürlich gerade frisch im Balenciaga-Onlineshop eingetroffen.) Und wer kauft dieses Zeug eigentlich? Wer einen Handtuchträger auf der Straße entdeckt – bitte melden.

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2. Überflüssigstes neues Label: Khy von Kylie Jenner

»Khy – just why?«, lautete der leicht kalauerhafte Internet-Kommentar zur neuen Modelinie von Kylie Jenner. Aber genau die Frage stellte sich ja: Hat uns das wirklich noch gefehlt? Gibt es nicht schon genug überflüssiges Zeug da draußen? Der erste Drop, eine begrenzte Edition, aus schwarzem veganem Leder und in Zusammenarbeit mit dem Berliner Label Namilia, konnte darauf leider keine überzeugende Antwort liefern. Vom Wall Street Journal gab’s trotzdem noch ein Cover und gleich den »Innovator Award« obendrauf. Ausverkauft waren die Teile dummerweise nicht sofort – ganz im Gegenteil zur ersten Offenbarung von Phoebe Philo und ihrem gleichnamigen Londoner Label. Die Fans der ehemaligen Celine-Designerin mussten nach ihrem Weggang eine Durststrecke von fünf langen Jahren überstehen. Ihre Hosen, Loafer und »Mum«-Ketten waren in Rekordzeit vergriffen. Genau darauf hatte die Welt nämlich schon noch gewartet.

Das sagt Kris Jenner: »Warum hast du’s nicht KJ genannt?«
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3. Aufreger des Jahres: Zara kopiert…Gaza?

Der Prostest gegen Zara ging über die digitale Welt hinaus.

Foto: Zara

Wenn es eine Steigerung von schlechtem Timing gibt, dann findet man sie in Zaras Dezember-Kampagne. Für die »handwerklich« anspruchsvollere Studio Line hatte der Fotograf Tim Walker das legendäre Model Kristen McMenamy in einer Art Künstlerwerkstatt inszeniert, mit viel Staub auf dem Boden und in weißes Tuch gewickelten Büsten und Puppen, manchen von ihnen fehlten Gliedmaßen. Sollte an unvollendete Skulpturen eines Bildhauers erinnern, an sich nichts Aufregendes dran. Da die Kampagne allerdings während des Israel-Hamas-Kriegs erschien, fühlten sich viele Social-Media-Nutzer eher an Szenen aus Gaza erinnert. Tragische Bilder von Menschen, die verhüllte Leichen ihrer Liebsten in den Armen halten. Der Aufschrei ging natürlich sofort viral.

Zara entschuldigte sich umgehend und erklärte, die Kampagne sei bereits im Juli entwickelt und im September fotografiert worden, Ähnlichkeiten mit Szenen aus Gaza seien vollkommen unbeabsichtigt. Trotzdem wurden die Bilder am nächsten Morgen entfernt. Will sich ja niemand so schlechtes Krisen-Management wie Balenciaga letztes Jahr vorwerfen lassen. Wer sich gelegentlich wundert, warum Modefotografie immer langweiliger wird – das liegt wohl auch daran, dass in unseren Feeds heute alles nebeneinander steht: Mode, Unterhaltung, Krieg, Terror. 

Typischer Instagram-Kommentar: »United Colors of Zara«
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4. Ikonisches Bild: Erste Reihe

Melania Trump, Michelle Obama, Laura Bush und Hillary Clinton in einem Bild, und das sogar in chronologischer Reihenfolge.

Foto: Getty Images

So viele ehemalige First Ladies waren wahrscheinlich noch nie auf einem Bild versammelt. Und wenn schon, dann natürlich in chronologischer Reihenfolge: Melania Trump! Michelle Obama! Laura Bush! Hillary Clinton! Wer war die am besten Gekleidete im ganzen Land? Zumindest waren sie alle höchst verschieden. Clinton eher burschikos, Bush klassisch, Obama progressiv, Trump, ähm, ausdrucksstark. Erinnert sich noch jemand an den »Jenseits von Afrika«-Gedächtnis-Helm auf der Kenia-Reise? An die Zara-Jacke mit der Aufschrift »I really don’t care, do u?«, die sie ausgerechnet zum Besuch eines Flüchtlingsheims trug?

Anlass des Fotos war die Beerdigung von Clintons Vorvorgängerin Rosalynn Carter, dazwischen residierten noch Barbara Bush und Nancy Reagan im Weißen Haus. Wer wohl nächstes Jahr dort (wieder) einziehen wird?

Typischer Instagram-Kommentar: »That’s a first!«
Das denkt Michelle Obama: »Warum trägt die kein Schwarz…??«
Passendes Lied: »All the Ladies« (Fatboy Slim)

5. Hochglanz-Affäre: Lauren Sánchez und Jeff Bezos

Seit Kim K und Kanye West 2014 hat keine Pärchen-Geschichte in der Vogue mehr so viel Spott geerntet wie die in der Dezember Ausgabe mit Lauren Sánchez und Jeff Bezos. Sánchez in einem riesigen unterirdischen Uhrwerk, als Cowgirl in der Wüste, als Capitana America am Steuer ihres Helikopters, in inniger Umarmung mit Bezos und seinem absurd großen Bizeps. »Cringe! Wie kann ich das bloß ungesehen machen?«, fragten die einen. »Wie viel hat Bezos dafür hingeblättert?«, die anderen.

Das eigentliche Problem war aber gar nicht die Besetzung. Die beiden scheiden die Geister so sehr, wie sie sie interessieren, und für solche Leute hat die ewige Anna Wintour auch mit 74 Jahren noch ein Händchen. Aber die glatte, überretuschierte Bildsprache von Annie Leibovitz – ebenfalls 74 – wirkt seltsam aus der Zeit gefallen. Das ist kein guter alter Glamour, sondern eine verklärte, vollkommen weltfremde Bildsprache. Wahrscheinlich soll das gerade in schlechten Zeiten zum Träumen anregen, sediert aber nur noch die Wenigsten.

Das sagt Jeff Bezos: »My Alive Girl goes Vogue!«
Das sagt Elon Musk: »Dafür lande ich zuerst auf dem Mond.«
Erwartbares Vogue-Couple in 2024: Kylie Jenner und Timothée Chalamet

6. New Kid on the Block: Travis Kelce

Nein, der überraschende Neuling des Jahres war nicht die Kakerlake auf dem roten Teppich der Met-Gala, sondern Travis Kelce, Footballer und nun auch Partner von Taylor Swift. Der »Tight End« – eine Art offensiver Alleskönner – von den Kansas City Chiefs war in den USA schon vorher als ebenso offensiver Modefan bekannt. Jetzt weiß es auch der Rest der Welt. Ob das crème-hellblau gesprenkeltes Jeans-Outfit von Kidsuper, der Jil-Sander-Pullover mit großer Taube oder die bronzefarbene Hose aus Pannesamt – das Repertoire ist so abwechslungsreich wie furchtlos. Vor allem im Vergleich zu seinen NFL-Kollegen, die auch abseits des Footballfelds eher in Hoodie und Jogginghose unterwegs sind. In einem Interview verriet er, dass sein begehbarer Kleiderschrank ein ganzes Zimmer einnehme. Das wiederum erinnerte an einen gewissen David Beckham, der in seiner 2023 sehr erfolgreichen Doku-Serie gestand, seine Outfits für die Woche schon mal auf einer Kleiderstange vorzusortieren und zu kombinieren. Der Reporter fragt aus dem Off ungläubig nach: »Im Voraus . . . Für die ganze Woche . . .?« Beckham lächelt selig und antwortet vollkommen unironisch: »Ja.« Ehrlichstes Modegeständnis des Jahres.

Erwartbares Kofferwort: Traylor
Erinnert an: Die Beckham-Romanze in den Neunzigern
Passender Swift-Song: »This Love«

7. Größter Y2K-Moment: Britney Spears

Das Bild vom Popsternchen ist altbekannt, doch der Blick darauf hat sich seit den 2000ern geändert. 

Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Trends aus dem Y2K, also dem Jahr 2000, wie schmale Brillen, Baggyhosen und allerlei Bling-Bling hielten sich auch 2023 hartnäckig. Nostalgie und Sehnsucht nach vermeintlich besseren Zeiten kann man gerade wirklich niemandem verdenken. Und dann kam – neben Paris Hiltons Buch und Pamela Andersons Dokumentation – noch die Autobiografie der Y2K-Ikone schlechthin auf den Markt: The Woman in me von Britney Spears. Stolz postete sie gleich an Tag eins, ihr Buch sei die sich am schnellsten verkaufende Promi-Autobiografie aller Zeiten. Move over, Prince Harry! Oder gilt der gar nicht als klassischer Promi und hat seine eigene Rubrik »Adelige Autobiograife«? Egal, für den Autor von Spare und Meghan Markle lief das Jahr eh nicht rund. Gerade wurden sie vom The Hollywood Reporter zu den Biggest Losern in Hollywood gekürt.

Typischer Instagram-Kommentar: »Oops«
Das sagt der Hardcore-Fan: »I’m a slave 4 U!«
Passender Song: »It ain’t over til it’s over« (Lenny Kravitz)