Es ist 2021 – und während anderswo vor allem das Missachten der Maskenpflicht zu Platzverweisen führt, wurde in Wellington gerade ein Abgeordneter zum zweiten Mal aus einer Parlamentssitzung geworfen, weil er sich weigerte, eine Krawatte zu tragen.
Es handelt sich dabei um den Co-Chef der indigenen Maori-Partei, Rawiri Waititi, der zur ersten Tagung des Jahres am Montag zur Hemd-und-Anzug-Kombi statt Schlips eine Kette mit Hei-Tiki, einem maorischen Ornament, um den Hals trug. Daraufhin verbot der Labour-Politiker Trevor Mallard, Sprecher des Repräsentantenhauses, ihm bei mehreren Meldungen das Wort und verwies ihn schließlich des Saals – mit der Begründung, er erfülle nicht die Standards des Business-Dresscodes des Parlaments, welcher für Männer eine Krawatte vorsieht.
Schon Ende letzten Jahres war es zwischen den beiden zur Auseinandersetzung gekommen. Waititi hatte bei seiner Antrittsrede den maorischen Führer Mokomoko zitiert, der 1865 zu Unrecht verurteilt worden war, den deutschen Missionar Carl Völkner umgebracht zu haben. Beim Vortragen dessen letzter Worte vor seinem Erhängen, »nehmt die Schlinge von meinem Hals, damit ich mein Lied singen kann«, zog Waititi symbolisch seinen Schlips aus – und erntete dafür eine Rüge Mallards. Der maorische Politiker versteht klassische Krawatten als »koloniale Schlingen« und traditionellen Schmuck als das Pendant der Maori-Kultur. »Mein Heitiki, mein Pounamu, mein Paraoa – das sind in unserer Kultur formelle Geschäftskleidungsstücke, das sind meine Krawatten«, erklärte er in einem Facebook-Video.
»Wer sich so inklusiv positioniert, dem stehen derart vorgestrige, geschlechterspezifische und kulturell wenig sensitive Dresscodes nicht«
Die Debatte über angemessene Kleidung in der Politik ist weit verbreitet – allzu strenge Dresscodes wurden jedoch vielerorts hinter sich gelassen. Als sich Joschka Fischer 1985 in Turnschuhen als Minister im hessischen Landtag vereidigen ließ, empfanden viele Christdemokraten das als eine Provokation, 30 Jahre später »traute« sich CSU-Politikerin Dorothee Bär erst mit Dirndl, dann mit Bayern-Trikot in den Bundestag (ob das nun einer zu begrüßenden freiheitlichen Kleidungsweise entspricht: fraglich). Und während 2011 noch zwei Schriftführern im Bundestag von Grünen und Linken wegen Schlipsentsagung ihr Amt verweigert und ein weiterer suspendiert worden war, wurde der Krawattenzwang für Schriftführer hierzulande 2014 abgeschafft. In der Hausordnung des Bundestages heißt es lediglich, »die Besucher haben die Würde des Hauses zu achten«.
Derartig interpretationsfähige Regeln braucht es auch in Neuseeland. Premierministerin Jacinda Ardern hat hier Ende letzten Jahres ein besonders vielfältiges Kabinett zusammengestellt – mit zahlreichen Frauen, People of Color, Mitgliedern der LGBTQI+-Community und insgesamt fünf Maori, darunter Nanaia Mahuta in der Rolle der Außenministerin. Wer sich so inklusiv positioniert – und aufmerksamkeitswirksam selbst schon im traditionellen Maori-Mantel zum Besuch bei der Queen antrat –, dem stehen derart vorgestrige, geschlechterspezifische und kulturell wenig sensitive Dresscodes nicht.
Und siehe da: Waititis Hartnäckigkeit scheint sich auszuzahlen. Jüngst vermeldete Sprecher Mallard auf Twitter, Krawatten würden nach einer Diskussion mit dem Komitee nun nicht mehr als Teil der »angemessenen Business-Kleidung« angesehen.
Das Timing könnte kaum besser sein, werden Karnevalist*innen nun sagen. An Altweiberfastnacht ist es schließlich schon seit Jahrhunderten Brauch, dass den Männern ihre Krawatten abgeschnitten werden. Als Symbol zur Abschaffung des Patriarchats und alter Machtstrukturen.
Wird getragen mit: schlecht sitzenden Baukasten-Anzügen, Büroluft, Filterkaffee, Laptop-Tasche, Serviette im Hemdkragen
Wird getragen von: Bankern, Versicherungsmaklern, Stromberg, Günther Jauch, Jan Delay, Diane Keaton
Nicht verwechseln mit: Maskenpflicht