Provokation im Moshpit

Das Modehaus Balenciaga lanciert eine Rammstein-Kollektion mit Luxus-Merchandise, die Fans fühlen sich verraten. Doch wurden die 500-Euro-Bandshirts überhaupt für sie entworfen?

Echte Rammstein-Fans, hier Helena, in edlem Designer-Merch von Balenciaga

Foto: Patrick Welde/Balenciaga, Artwork auf dem Pullover Gottfried Helnstein

Ende März verkündete Rammstein die coronabedingte Verlegung ihrer Europa-Tournee auf das Jahr 2022. Sollte da jemand schon verhindert sein, könnte er oder sie sich von der Rückerstattung des Ticketpreises nun alternativ ein Fünftel Band-Shirt kaufen. Wer gleich zehn Tickets zurückzugeben hat, kann sich sogar einen Hoodie leisten.

Von 350 Euro für eine Kappe bis zu 1790 Euro für einen schwarzen Regenmantel kostet die neue Linie an Rammstein-Merchandise aus dem französischen Luxusmodehaus Balenciaga. Dessen Kreativchef Demna Gvasalia hat die Bandmitglieder nicht nur eingeladen, eine persönliche Playlist für den Balenciaga-Account auf Apple Music zusammenzustellen, sondern zusätzlich auch noch eine neunteilige Capsule-Kollektion mit Rammstein-Prints erstellt.

Die Produkte sorgen – zumindest in den sozialen Medien – für wenig Begeisterung unter den Fans. Die Reaktionen auf Instagram reichen von einfachem Missfallen (»Why?«, »Bad marketing«, »Viel zu teuer«) bis zu tatsächlicher Fan-Kränkung (»Zum ersten Mal fühle ich mich von euch ausgeschlossen«, »Man darf nie vergessen, wo man her kommt [...] das ist abseits der Realität, vor allem in der jetzigen Zeit«).

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Guter Punkt: Rammstein betreibt einen Onlineshop, in dem es von Autokennzeichen über eigenen Gin oder ein Parfum namens »Kokain« bis zum Waschbeckenstöpsel ungefähr alles mit Rammstein-Logo zu kaufen gibt, was das Fan-Herz begehren könnte. Die Preise für T-Shirts rangieren hier zwischen 18 und 27 Euro.

Im Gegensatz zu diesen einfachen T-Shirts ist die Balenciaga-Version mit einem Rammstein-Portrait von Gottfried Helnwein bedruckt. Der österreichisch-irische Künstler, der sich in seinen nicht unumstrittenen Werken mit Themen wie Schmerz, Gewalt, aber auch Nationalsozialismus auseinandersetzt, wurde unter anderem durch seine hyperrealistischen Bilder von verwundeten und bandagierten Kindern bekannt. Auch Rammstein inszenierte er 1998 mit bandagierten Gesichtern, die entstandenen Fotos (von denen eines jetzt auf dem Balenciaga-Merch prangert) erinnern an sein Werk »Epiphany III (Presentation at the Temple 2)«. Ist dieser Kunst-Anstrich also Grund genug für den um rund 2500 Prozent gesteigerten Preis der Band-Shirts? Wohl kaum. Helnwein war beispielsweise auch für die Covergestaltung von Rammsteins »Sehnsucht«-Album verantwortlich – doch damit bedruckte T-Shirts gibt es im Rammstein-Shop aktuell für 21 Euro.

Demna Gvasalia ist ein Meister der Re-Kontextualisierung. Als Mitbegründer des Modelabels Vetements verkaufte er schon DHL-Shirts für knappe 250 Euro, bei Balenciaga unter anderem seine Interpretation der klassischen blauen Ikea-Tüte für über 2000 Dollar. Alltägliches in Hype-Produkte zu verwandeln und dabei der Branche den Spiegel ihres teilweisen Irrsinns vorzuhalten, ist ihm schon oft gelungen.

Da große Luxushäuser zumeist das Gegenteil von »auf der Straße geboren« sind, befinden sie sich in dem ewigen Streben nach Authentizität

In diesem Fall spielt aber noch ein anderer Faktor eine Rolle: Gvasalia ist selbst großer Rammstein-Fan. Er wurde in der Vergangenheit des öfteren in Merchandise-Shirts der Band gesichtet und führt in seiner eigenen Apple-Music-Playlist zahlreiche Rammstein-Songs auf.

Wollte der Designer sich selbst das ultimative Sammlerstück schaffen? Frei nach dem Motto: Wer sonst schon alles hat? Passend dazu wurden die teuren Stücke auch an echten Rammstein-Fans vor deren jeweiliger Fan-Sammlung von dem Fotografen Patrick Welde in Szene gesetzt.

Da große Luxushäuser zumeist das Gegenteil von »auf der Straße geboren« sind, befinden sie sich in dem ewigen Streben nach Authentizität. Deshalb suchte Louis Vuitton schon Coolness bei der Skateboard-Marke Supreme, deshalb arbeitete Dior schon mit dem einstigen Graffiti-Künstler KAWS zusammen und wohl deshalb sucht Balenciaga nach dem Echten, Wahren in der Brachial-Musik-Szene. Doch kann man sich Wurzeln und Glaubwürdigkeit erkaufen? Die Kooperation von Metallica und der Workwear-Firma Engelbert Strauss vor zwei Jahren war da augenscheinlich der bessere Fit, weil »näher an der Basis«, wie man dieser Tage auch in Kanzlerfragen gerne sagt.

Ausverkauft sind alle Teile der des Balenciaga-Rammstein-Luxusmerch natürlich trotzdem. 2022 heißt es dann: Obacht im Moshpit. Wer sich dort mit seinem 800-Euro-Hoodie präsentiert, bekommt vielleicht erst recht ein Bier drübergekippt.

Wird getragen von: Gut betuchten Rammstein-Fans, die sonst schon alles haben / Balenciaga-Fans, die kein Rammstein hören / Demna Gvasalia
Wird getragen mit: Lederhose von Rick Owens, schwarzen Boots von Margiela
Der Rammstein-Song dazu: »Ich Will«