Jede alte Tradition kommt irgendwann an einen Punkt, wo sie zu alt wird. Dann gerät sie in Gefahr, zum toten Manierismus zu ge-rinnen. Es sei denn, sie erfindet sich neu und findet Anschluss an die Gegenwart. Die Geschichte der Porzellan-Industrie aus dem niederländischen Delft reicht mehr als 400 Jahre zurück, und bis vor Kurzem sah man ihr dieses Alter auch an: Ihre Klassiker – Teller, Vasen und Figuren mit handgemalten blauen Motiven und Verzierungen auf weißem Grund – wirkten immer ein wenig, als stammten sie aus einer Zeit, als in Holland noch die Windmühlen rotierten. (Lesen Sie auf der nächsten Seite: Befreiung aus der Formstarre)
So verwundert es auch nicht, dass aus den einst 32 Delfter Manufakturen nur eine überlebt hat: die 1653 gegründete »De Porceleyne Fles«. Das Unternehmen setzt seit 20 Jahren auf Zusammenarbeit mit Designern und Künstlern und hat sich so ein Stück Aktualität zurückerworben. Jüngstes Beispiel: die sechzehnteilige Teller-Edition »Stripped« (ausgezogen) von Piet Hein Eek. Statt des üblichen »Ornament-Overkills« (Eek) gibt es bei ihm schlichte Details und viel weiß. Damit setzt er das fort, was ein Jahr vor ihm schon Marcel Wanders begann – die Befreiung einer Institution aus der Formstarre. (Lesen Sie auf der nächsten Seite: Ein Witz mit groben Strichen)
Wanders überraschte letztes Jahr mit einer Teller-Kollektion, die sich über den zeitraubenden Handmal-Kult lustig machte. Der Witz seiner mit groben Strichen bemalten Edition »One Minute Delft Blue« war, dass sie im Minutentakt entstand. Etwas länger dürfte er allerdings für seine reich verzierte und mannshohe Porzellanglocke »Big Ben« gebraucht haben, die er für seine Ausstellung auf der Mailänder Möbelmesse entwarf. Überhaupt ist Porzellan neuerdings auch in der bildenden Kunst en vogue: Arbeiten wie die »Scherbenlöffel« von Gésine Hackenberg oder Charles Kraffts »Sal Mineo Bunny« zeigen: Selbst mit einer Technik, die steinalt ist, lässt sich moderne Kunst machen.