Hühnereier sehen auf der ganzen Welt gleich aus. Man hat höchstens noch die Wahl zwischen weißen und braunen. So ein Standard ist beruhigend, auf Dauer aber auch ein wenig langweilig.
Das ist beim Design nicht anders.
Gutes Design – zumal, wenn es aus Europa kommt – war lange Zeit, wenn es sich um ein technisches Gerät handelt, entweder schwarz oder silberfarben, gelegentlich vielleicht noch weiß. Ausnahmen sind Bohrmaschinen; die dürfen auch mal rot sein, wenn sie besonders leistungsstark sind. Blau bleibt dem Profi vorbehalten, Grün dem Heimwerker. Alles in allem aber lebten wir in einer farblichen Monokultur, seitdem an der Hochschule für Gestaltung in Ulm festgelegt wurde, dass sich technische Kompetenz am besten in Schwarz oder Silber ausdrückt, manchmal auch in feurigem Mausgrau.
Mit dieser Farbpalette wurden die Stereoanlagen, Transistorradios, Diaprojektoren und Kaffeemaschinen der Firma Braun internationale Bestseller und ihr Chefdesigner Dieter Rams zum Guru einer ganzen Profession. Wer nach den Ursprüngen dieses Farbdiktats sucht, muss tief in die historische Asservatenkammer: Haben sich die ersten gusseisernen Gestelle der Schreibmaschinen, die rabenschwarzen Lokomotiven, die schwarzen Telefone oder die schwarzen Rechenmaschinen vom Beginn der Industrialisierung in Europa so in den Köpfen festgesetzt, dass noch am Ende des 20. Jahrhunderts einer der größten Elektronikhersteller der Welt seine Personal Computer nahezu ausschließlich in Schwarz fertigte? Oder waren es einfach pragmatische Gründe? Neutrale Farben wie Schwarz, Grau oder Weiß lassen sich aus europäischer Sicht in jede beliebige Umgebung integrieren. Aber dies ist eben eine rein europäische Sicht mit Schwerpunkt nördlich der Alpen, wo die Zentren der Industrie liegen.
Selbst in den USA war man schon früh experimentierfreudiger. Der Werkstoff Catalin – ein Kunststoff auf Basis von Phenolharz, der seit Anfang der 1930er-Jahre eingesetzt wurde – ermöglichte eine farbenfrohe Mischung, die vorwiegend bei den Gehäusen von Kompaktradios Verwendung fand. Doch als diese Technologie nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa Einzug hielt, wurde redesignt. Plötzlich waren die Gehäuse grau und hatten eine weiße gelochte Front. Und der Spaß war vorbei.
Verfolgt man die Geschichte des Designs, so setzte ab den 1960er-Jahren latent eine starke Internationalisierung ein, die sich nicht zuletzt im englischen Begriff »Industrial Design« manifestierte. Das geschah analog zur Architektur, wo man seit einer einflussreichen Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art 1932 vom »International Style« sprach. Berühmte Beispiele dafür sind die Bauten von Le Corbusier im indischen Chandigarh oder die brasilianische Retortenstadt Brasília von Oscar Niemeyer. Grundlage dieses Universalismus war der unbeirrbare Glaube an Fortschritt und grenzenloses Wachstum, der in dem Traum kulminierte, die Erde zu verlassen und den Weltraum zu erobern.
Heute ist der Siegeszug internationaler Standards längst vollzogen, er heißt Globalisierung. Die aber war von Anfang an ein westliches Projekt, das von Europa und Amerika vorangetrieben wurde, zwei Regionen, die mehr oder weniger durch eine gemeinsame Geschichte und Kultur, vor allem aber durch wirtschaftliche Interessen miteinander verbunden waren. Die globale Welt ist eine Welt, betrachtet durch eine eurozentrische Brille. Wer das nicht glaubt, muss nur mal Weltkarten aus Japan oder China betrachten. Da gehören Europa und Amerika zur Peripherie.
Wirklich hinterfragt wurde die Internationalisierung im Design nie. Bis heute scheint zu gelten, was Vordenker Gui Bonsiepe von der Hochschule für Gestaltung in Ulm 1966 formulierte: »Design ist keine nationale Angelegenheit. Was wir darunter verstehen, hat von Anfang an eindeutig internationalen Charakter. Mit der fortschreitenden Industrialisierung und ihrer Problematik, die gleichfalls internationale Ausmaße angenommen hat, erhob sich die Notwendigkeit, die in formaler Hinsicht chaotisch gewordene industrielle Produktion planend und ordnend zu steuern.«
Es ist ein sehr rationales Weltbild, bei dem alles planbar und steuerbar sein muss, in dem der Mensch und seine Eigenheiten aber weitestgehend ausgeblendet sind – ja, schlimmer noch, auch die Kultur; denn Design ist stets auf den kulturellen Humus angewiesen, in dem es wächst, und reagiert auf die technischen, aber auch gesellschaftlichen Gegebenheiten in dem Land, in dem das Produkt konzipiert wird.
Immer noch wollen wir die sprichwörtlichen Kühlschränke an die Eskimos verkaufen, statt zu untersuchen, was wir von den Eskimos lernen können. Nämlich wie diese Kulturen über Jahrhunderte hinweg ihre Nahrungsmittel haltbar gemacht haben, ob überhaupt ein Bedarf an Optimierung besteht, und wenn ja: wie diese Optimierung entsprechend ihren bisherigen Gewohnheiten aussehen könnte.
Das Schweizer Taschenmesser kann bei den Inuit wie bei den Aborigines hilfreich sein und ist dadurch für den einen oder anderen begehrenswert. Aber das gilt sicher nicht für die unüberschaubare Anzahl an Produkten, die derzeit den gesamten Globus überschwemmen, seien sie nun importiert oder vor Ort imitiert.
»Für uns wird Asien das Zentrum sein, denn es gibt so viel aufzuarbeiten.«
FLORIAN HUFNAGEL Direktor der neuen Sammlung in München Seit nunmehr 23 Jahren leitet Prof. Dr. Florian Hufnagl die weltweit größte Designsammlung, die heute in der Pinakothek der Moderne beheimatet ist. Über 80 000 Objekte - vom Stuhl bis zur Schreibmaschine - umfassen seine Bestände. Seinen Sachverstand schulte der heute 65-Jährige schon früh: Er studierte Kunstwissenschaften, Archäologie und moderne Geschichte. (Foto: Gisela Schenker)
Es ist an der Zeit, dass sich nach den Design-Tsunamis europäischer Gleichmacherei, die selbst die weitest entfernten Küsten nicht verschont haben, Widerstand regt, wenn auch nur aus bloßen wirtschaftlichen Überlegungen. Steve Jobs hat dies als einer der Ersten erkannt, als er Mitte der 1990er-Jahre auf bonbonbunte Computer umschwenkte, die besonders in Südostasien sehr gut ankamen, und damit Apple wieder auf die Gewinnerstraße brachte. Bei den Bügeleisen ist es nicht anders, wie ein Blick auf die unendliche Reihe in einem Elektromarkt belegt. Nur ist die Fließrichtung jetzt eine andere: Nachdem nahezu alle diese Produkte »assembled in China« oder »made in China« sind, schwappt die farbenfrohe asiatische Welt bis in die letzte puritanische Wohnstube. Waren es früher Schwarz und Weiß, so ist es heute Lollipop. Und wieder sieht alles gleich aus.
Gott sei Dank existieren Ausnahmen, die Hoffnung auf ein kulturell basiertes Design machen, das verschiedenen Kulturkreisen entsprechend jeweils anders, nämlich adäquat aussieht. Die nordamerikanischen Trucks mit ihrem martialischen Aussehen haben ihren Kontinent nie verlassen. Schon in Südamerika sehen die Lkws anders aus, ganz zu schweigen von indischen oder pakistanischen Brummis: Die farbenfrohe Vielfalt ihrer Auf- und Umbauten lässt jeden europäischen Designer an seiner Profession verzweifeln.
Es ist bezeichnend, dass die wenigen Arbeiten europäischer Designer, die sich schon etwa ab den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts dieser Problematik bewusst waren (zum Beispiel die »Bharata«-Kollektion von Ettore Sottsass mit ihrem Brückenschlag von Indien nach Europa), stets in Kleinserien entstanden, aber nie wirklich in die industrielle Massenproduktion gingen. Inzwischen gibt es erfreulicherweise Designer, die in Kenntnis der unterschiedlichen Kulturkreise zu Entwürfen gelangen, die auf den spezifischen Gegebenheiten ihres Landes basieren und zugleich den hohen internationalen Qualitätsansprüchen genügen, wie etwa die braslianischen Brüder Campana, den zwischen Indien und Amsterdam pendelnden Satyendra Pakhalé oder den Koreaner Kap-Sun Hwang, der im absoluten Hightech-Bereich auf der Basis der keramischen Tradition Koreas mit neuen Porzellanmassen an der Universität Seoul experimentiert.
Vor allem in Japan, einem Land mit jahrhundertealter eigener Gestaltungstradition, das nach dem Zweiten Weltkrieg am heftigsten mit dem Westen konfrontiert wurde, wird kulturspezifisches Design seit geraumer Zeit immer erfolgreicher. Die Arbeiten von Sori Yanagi, dem amerikanisch-japanischen Künstler Isamu Noguchi und von Shiro Kuramata stehen ebenso wie die Produkte des Unternehmens Muji bewusst in der japanischen Tradition und sind dennoch – oder gerade deshalb – weltweit gefragt. Dieses allerorten aufkeimende regionale Selbstbewusstsein könnte einen längst fälligen Paradigmenwandel im Design einläuten. Aric Chen, neu berufener Kurator für Design des gerade entstehenden Museums M+ in Hongkong, sagt auf die Frage, was dort in Zukunft zu sehen sein wird: »Für uns wird Asien das Zentrum sein, denn es gibt so viel aufzuarbeiten.«
Im besten Fall ist Design Kommunikation: Es bietet die Möglichkeit, voneinander zu lernen und sich anregen zu lassen – gerade in einer Welt globaler Industrieprodukte. Man will ja nicht immer nur Eier essen.
Foto: Aleix Plademut