In seinem Buch The Social System legte der amerikanische Soziologe Talcott Parsons 1951 die Grundlage für die Beschreibung der Rolle des Kranken: Er sei von seinen gewöhnlichen Verpflichtungen befreit, werde für sein abweichendes Verhalten nicht verantwortlich gemacht, habe aber die Verpflichtung, professionelle Hilfe aufzusuchen und alles zu tun, um wieder gesund zu werden. Dieses Rollenmodell wurde in den folgenden Jahren vielfach kritisiert, und auch wenn es – wie nicht zuletzt Ihre Bedenken zeigen – die reale Situation zum Teil recht treffend wiedergibt, kann ich mich mit ihm aus ethischer Sicht nicht anfreunden. Es beruht mir zu sehr auf der »Abweichung vom Normalen« und entmündigt den Kranken, indem es ihm eine Verpflichtung auferlegt, sich schnellstmöglich wieder in die Norm einzufügen. Woher aber sollte eine derartige Verpflichtung kommen, wenn nicht doch aus Schuld gegenüber der Gesellschaft wegen des Anders-Seins oder der erwiesenen Hilfe in Form der Behandlung. Damit aber wird die Unterstützung des Kranken zum Tauschpfand für soziales Wohlverhalten.
Meiner Ansicht nach muss man diese beiden Bereiche trennen: die Behandlung – welche, wenn notwendig, auch noch so teuer sein mag – auf der einen Seite und das Verhalten des Kranken als Mensch mit allen Freiheitsrechten auf der anderen. Letztere schließen nun einmal bei jedem, ob gesund oder krank, in gewissem Rahmen das Recht auf Unvernunft und auch auf Nichtwissen ein. Grenzen sehe ich allerdings dort, wenn das unvernünftige Verhalten des Patienten die Behandlung konterkariert oder die Therapie ohne bestimmte Untersuchungen nutzlos oder gar gefährlich wird. Ob dies bei Ihnen zutrifft, vermag ich nicht zu beurteilen – solange nicht, geht für mich die Freiheit des Einzelnen vor. Gesundheit betrifft schließlich nicht nur den Körper.
Illustration: Jens Bonnke