Fassungslosigkeit ist immer so ein bisschen langweilig, wenn man sie nicht teilt. Aber wenn man derzeit von außen auf die Klimaproteste schaut, kann man schon die Frage stellen: In welcher Menschenrechtscharta wurden eigentlich die Rechte für ungestörten emissionsintensiven Individualverkehr festgehalten? Andererseits: Sich so feste selbst berufen zu fühlen, Menschen in ihrem Leben zu beeinträchtigen, hat schon auch was Anmaßendes.
Es ist höchste Zeit, dass die Fronten sich wieder als Menschen begegnen. Dass die Demonstrantin eine Nichte ist, die Pendlerin eine Cousine, die Tante genervt vom Protest, der Schwager unentschlossen. Dass der Konflikt wieder an einem Tisch stattfindet, wo Vertrauen ist. Trifft sich doch wunderbar, dass bald Weihnachten ist. Familien kommen zusammen, Liebe zumindest nicht ausgeschlossen.
Intellektuell mag das traurig klingen – so als könne man die Aufrichtigkeit eines Anliegens nur glauben, wenn es jemand hat, dem man vertraut. So als sei Sexismus erst furchtbar, wenn die Tochter leidet. Oder Rassismus nur dann glaubwürdig, wenn ihn jemand berichtet, den man mag.
Manchmal scheint es mir, als ginge es nur noch so. An professionellen Debattenorten ist der Austausch versteinert, nur noch taktischer Argumentewechsel. Talkshows kommen an ihre Grenzen. Offenbart sich hier angesichts der Klimakrise nicht doppelt, was dieses Format alles nicht kann? Gerade weil sich der Austausch als Simulation entlarvt, sobald jemand die Spielregeln verletzt, so wie es die Aktivistinnen der »Letzten Generation« häufig tun. Völlig ratlos saßen zuletzt der bayerische Innenminister Joachim Herrmann und der Bundesjustizminister Marco Buschmann einer jungen Frau namens Carla Hinrichs gegenüber, die auch emotionsbasiert argumentierte, mit – ja, tatsächlich – nicht weniger als der Sorge vor dem Ende der Welt, wie sie sie kennt.
Wie kann man so was Heiliges wie den Autofluss stören und dann nur ein Tempolimit wollen?
Die beiden Berufspolitiker ignorierten das geäußerte Gefühl einfach. Sie konnten es diskursiv überhaupt nicht aufnehmen. Die junge Frau hatte das übliche Hin und Her aus geschäftigen Argumenten ohne echtes Zuhören gestört – es wurde nur Überforderung sichtbar. Überlebenssorgen wurden Formfehler nachgewiesen. Und die pragmatischen Forderungen nach Tempo 100 wiederum als zu brav belächelt. Wie kann man so was Heiliges wie den Autofluss stören und dann nur ein Tempolimit wollen? Dabei zeigen doch die Forderungen, dass es hier um eine redebereite Generation geht. Sogar ein Gespräch mit Olaf Scholz ist gewünscht. Ist ja jetzt auch nicht unbedingt ein massenkompatibles Verlangen. Er mag das verweigern. Familien untereinander sollten es nicht.
Ich glaube, die richtigen »Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels« werden dieses Jahr das Tischthema der Nation sein, und vielleicht können sie auch dort am besten besprochen werden. Wo man einander vertraut, mit seinem Anliegen auch gehört zu werden: in Familien, aufgetischt zum Fest der Liebe. Die Herzen sind bestenfalls sperrangelweit auf, man will schenken, geben und sich nah sein. Beste Voraussetzungen und genau das, was fehlt, wenn Routiniers in Talkshows zusammenkommen.
Bloß: Ich glaube, Alkohol wirkt hier ähnlich wie eine Fernsehkamera. Man bleibt bei seinem Standpunkt, will sich – angesichts spürbar zäher werdender Gedanken oder des Publikums – nicht die Blöße geben aufzumachen. Alles wird zur Rollenprosa, man bleibt, wer man war, weil alles andere zu kompliziert wäre. Alkohol ist ein Zumacher. Mit Alkohol geht alles erst mal okay weiter. Die Selbstzufriedenheit steigt, der Geist wird hermetischer. Man könnte sagen: Debatten auf Alkohol können wir uns politisch nicht mehr leisten. Vielleicht ist dieses Weihnachten eine gute Gelegenheit, wach zu bleiben, nüchtern, mal offen zu lassen – statt sich abzufüllen. Nur eine Idee.