Zusammen gekocht, zusammen geredet. Als der Verdauungsschnaps dran war, stellte einer meiner Freunde zwei Flaschen auf den Tisch, die aussahen wie die Edelbrände, die man vor einer Essenseinladung schnell beim Weinhändler um die Ecke kauft. Das waren sie aber nicht – der Freund hatte sie, wie er erklärte, in monatelanger Arbeit selbst gemacht. Der Rest des Abends handelte nur noch davon, wie man Schnaps brennt.
Ich finde die Do-it-yourself-Bewegung toll. Ich bewundere Leute, die sich ihren Schmuck selbst häkeln oder ihren Salat in der Baumscheibe vor dem Haus ziehen. Das Bedürfnis, Alkohol selbst zu erzeugen, kenne ich allerdings nur aus Gefängnisfilmen und den Geschichten, die ich über das Russland der Gorbatschow-Jahre gehört habe. Um den Alkoholismus zu bekämpfen, wurden damals Wodkafabriken und Alkoholläden geschlossen, worauf die Leute den Schnaps eben bei sich zu Hause brannten. Eine Russin erzählte mir, dass auf ihren Familienfeiern der Gastgeber irgendwann die Väter und Großväter beiseitenahm, um ihnen im Keller seine Ausbeute zu zeigen.
Der Mann aus dem Freundeskreis sagt: »Es geht um das eigene Produkt, um das Gefühl: Du braust deinen eigenen Schnaps.« Er ist Lehrer, weshalb er hier anonym bleiben möchte, ansonsten teilt er sein Wissen über das Schnapsbrennen so bereitwillig, wie andere Chutney-Rezepte herumreichen. Also: Er nimmt die Schalen und Kerne von roten Trauben, schmeißt sie in ein Plastikfass und lässt sie einen Monat lang zu einem Matsch vergären, der Maische. Die trägt er in eine Brennerei und kippt alles in einen Kupferkessel, den er mit Holz auf 70 Grad anheizt. Das mit der Brennerei klingt komisch, ist aber einfach. Man kann sich mit seiner Maische in eine sogenannte Abfindungsbrennerei mitsamt deren Fachwissen einmieten. Ob es im jeweiligen Wohngebiet eine gibt, erfährt man beim zuständigen Hauptzollamt. Wenn der Alkohol destilliert, leert mein Freund den ersten halben Liter weg, weil darin unter anderem giftiges Methanol enthalten ist. Danach hat mein Freund einige Liter an 69-prozentigem Schnaps, den er dann mit Quellwasser verdünnt. Noch während er das alles erzählt, schickt er über WhatsApp einen Film, den er beim Brennen gemacht hat. Man sieht darin, wie klare Flüssigkeit durch ein Kupferröhrchen in einen Metallbehälter tröpfelt.
Das Internet ist voller Erklärvideos über das Schnapsbrennen und Foren, in denen sich Leute über Gärverschlüsse und Destilliertöpfe austauschen. Ich verstehe die Anziehungskraft: Wann kann man es im Leben sonst so zischen und brodeln lassen wie der Druide Miraculix beim Zaubertrankbrauen? Oder geht es beim Do-it-yourself-Alk um etwas anderes? Immer wieder taucht in den Foren die Frage auf, wie legal das eigentlich sei. Gar nicht, seit 2018 darf man in Deutschland nicht einmal kleinste Mengen für den Eigenbedarf zu Hause brennen. Wer Obst hat und daraus Schnaps machen will, muss das in einer Brennerei tun. Die genauen Vorschriften listet der Zoll unter folgendem Stichwort auf: »Gewinnung von Alkohol als Stoffbesitzer«.
Um vor dem Gesetz als »Stoffbesitzer« zu gelten, muss man also kein Kokain-Taxi rufen, es reichen ein paar Kilo Äpfel und der Vorsatz, daraus einen Obstler werden zu lassen. Wenn mich einmal die Midlife-Crisis packt, gehe ich mit Äpfeln zum Zollamt und beantrage, Stoffbesitzerin zu werden.