Das eine Klo, das tabu ist

Darf man ausnahmsweise auf eine freie Behindertentoilette gehen, wenn die Toilettenschlange lang ist und man es eilig hat? Unsere Kolumnistin ist dagegen und hat dafür eine gute Begründung.

Illustration: Serge Bloch

»Am Flughafen musste ich kurz vorm Boarding aufs Klo, bei den Damen war eine lange Schlange. Da nirgends ein Mensch mit Behinderung zu sehen war, ging ich auf die Behindertentoilette. Sie war groß, sauber, hatte Klopapier und Seife. Das war das erste von mehreren Malen auf der Reise, dass ich Behindertenklos nutzte. Ich hatte stets ein latent schlechtes Gewissen. Muss ich das?« Lisa L., München

In einer perfekten Welt wären alle Toiletten so gebaut, dass jeder Mensch sie benutzen könnte, ganz gleich, ob Rock oder Hose oder welche Besonderheiten er auch immer mit sich bringt. In einer perfekten Welt wären allerdings auch alle Toiletten immer blitzsauber. Es gibt nämlich einen Unterschied, den man bedenken sollte, bevor man allzu schnell findet, ach, klar, komm, was soll sein: Menschen, die gehen können, müssen sich nicht auf die Klobrille setzen, sie haben die Wahl. Diese Wahl haben Menschen, die im Rollstuhl sitzen, in der Regel nicht. Und das hat nicht nur mit Ekel zu tun, sondern eine Begleiterscheinung von Behinderungen kann ein schwaches Immunsystem sein, weshalb Infektionen für Behinderte schwerwiegende Folgen haben können. Und als nichtbehinderter Mensch weiß man ja, wie verschmutzt es auf öffentlichen Toiletten sein kann. Zumal die nicht nur für das genutzt werden, für das sie gedacht sind, sondern für alles mögliche andere auch, das nicht gesehen werden soll. Ich würde also sagen, sollte man im absoluten Ausnahmefall doch mal schnell nichtbefugt auf die Behindertentoilette gehen, was ja nun auch nicht das Ende der Welt bedeutet, ist ein latent schlechtes Gewissen durchaus angebracht. Und man sollte übertrieben auf Sauberkeit achten.

Ich hätte allerdings auch eine Frage zu Behindertentoiletten, mit der ich zugleich verrate, dass auch ich hier und da schon mal auf einer war: Warum ist bei ihnen über dem Waschbecken nach meiner eigenen persönlichen Erfahrung fast nie ein Spiegel angebracht? Vorschriftsmäßig gehört einer hin, also umso schlimmer. Es benutzen sie ja nicht nur Blinde, warum wird offenbar angenommen, sagen wir, Menschen, die im Rollstuhl sitzen, wollen sich nicht mal den Lippenstift nachziehen oder gucken, wie die Haare sitzen? Wird da geglaubt, ach, wie die aussehen, ist eh egal? Das fände ich diskriminierend.