»Neulich war eine Freundin zu Besuch. Sie kam mit dem Zug und hat sich nicht die Hände gewaschen, als sie bei mir hereinkam. Für mich selbst ist Händewaschen beim Heimkommen selbstverständlich. Ich war sehr irritiert, dass es das nicht auch für sie ist, zumal sie ja aus dem Zug kam. Da man als erwachsene Person für sich selbst verantwortlich ist, habe ich nichts gesagt. Trotzdem möchte ich, dass wir uns gegenseitig schützen. Was denken Sie?« Johanna H., Ilmenau
Um etwas zu erreichen, ohne den anderen dabei zu brüskieren, und somit den Frieden zu erhalten, wurde in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Italien die moderne Diplomatie erfunden, die hohe Kunst der Verhandlung. Damals schickte das Herzogtum Mailand erstmals feste Vertreter an die Höfe von Florenz, Genua, Neapel und Venedig, die dafür sorgen sollten, die Interessen Mailands – höflich – zu wahren.
Sie haben sich Ihrer Freundin gegenüber benommen wie eine Diplomatin, die ihre Sache zu fünfzig Prozent genial macht. Sie haben Takt bewiesen, indem Sie nicht plump ehrlich waren, sondern für sich behielten, dass Sie es unmöglich, unverantwortlich und unhygienisch finden, sich nach einer Bahnfahrt nicht die Hände zu waschen. Ihrer Freundin ist Ihr taktisch kluges Spiel offenbar nicht aufgefallen, was zeigt, wie gut Sie schauspielern können. Damit hätten Sie an norditalienischen Höfen glänzen können.
Aber Sie haben die wichtige zweite Komponente der Diplomatie vergessen: Ihr Ziel. Und das besteht darin, sich selbst einen Vorteil zu verschaffen. Sie waren also, wenn man es genau nimmt, völlig sinnlos diplomatisch.
Für künftige Besuche von Bahnreisenden bei Ihnen folgender handfester Tipp: Stellen Sie sich einfach vor, Sie wären ein Schweizer Fünf-Sterne-Hotel, das bereits seit Jahrhunderten in Familienhand ist. Sie möchten, dass Ihre Gäste sich bei Ihnen wohlfühlen, aber auch einen Sinn für Sauberkeit wahren. Was tun Sie? Sie legen hübsch gefaltete kleine Handtücher neben die schöne Seife, und sollte der Gast nicht von alleine auf die Idee kommen, die Toilette aufzusuchen, weisen Sie ihn mit selbstverständlicher Gastfreundschaft darauf hin, dass Sie eigens ein frisches Handtuch für ihn bereitgelegt haben, da er sich nach der langen Zugfahrt ja bestimmt die Hände waschen will.