Wo hört die Tierfreundschaft auf?

Unsere Leserin kümmert sich im Urlaub aus Mitleid um verwahrloste Straßentiere. Ihr Freund meint, ihre Hilfe bringe langfristig niemandem etwas. Hat er recht? 

Illustration: Serge Bloch

»Auf Reisen plagt mich der Anblick von verwahrlosten Straßentieren oft so sehr, dass ich etwas tun muss. Ich versorge die ­Tiere dann mit Futter, Wasser, Streicheleinheiten oder ­suche lokale Tierschutzorganisationen auf. Meinem Partner ist das teilweise so unangenehm, dass ich es lasse und anschließend ein schlechtes Gewissen habe – oder es kommt zur Diskussion. Sein Argument: Langfristig könne ich dadurch nichts ändern, und der Abschied von den Tieren falle nur noch schwerer. Er hat nicht unrecht, aber ist ein wenig nicht besser als nichts?« Felicitas M., München

Die Anteile Ihrer Persönlichkeit, die Sie dazu bringen, an keinem verwahrlosten Straßenhund vorbeigehen zu können, ohne helfen zu wollen, kommen wahrscheinlich auch Ihrem Partner zugute, der Sie womöglich sogar genau dafür liebt, oder zumindest auch dafür, ein so warmherziger und empathischer Mensch zu sein. Wobei er natürlich recht damit hat, dass Sie durch kurze Hilfszuwendungen am grundsätzlichen Leid dieser Tiere nichts ändern. Aber wenn man dieses Argument immer anwenden würde, könnte man mit vielen Sachen aufhören oder besser gesagt gar nicht erst anfangen. Warum sollte man Demenz-Kranke besuchen, wenn sie sich doch eh nicht daran erinnern werden? Warum Kinder in Palliativstationen von Klinikclowns aufmuntern lassen? Warum wird in manchen Fragebögen nach etwas so Sinnlosem wie der Henkersmahlzeit gefragt?

Und genau genommen helfen Sie mit diesen Tieren ja zugleich auch ein wenig sich selbst. Denn etwas getan zu haben, erlöst Sie von dem schlechten Gewissen, das Sie ansonsten befallen und bis zurück nach Deutschland begleiten würde. Insofern würde ich dem zweiten Argument Ihres Partners, Ihnen würde der Abschied dann nur schwerer fallen, auch entgegenhalten wollen, dass es für Sie möglicherweise genauso schwer ist, mit der Erinnerung zu leben, wie Sie an einem leidenden Tier tatenlos vorbeigelaufen sind. Noch dazu gegen Ihren eigentlichen Willen.

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Ich kann Sie nur ermutigen, so zu handeln, wie es Ihnen entspricht. Es ist nie günstig, sich einem anderen Menschen zuliebe zu verbiegen, und was hat auch Ihr Partner davon? Wäre er wirklich glücklich, wenn Sie gegen Ihre Natur handeln und sich stumm neben ihm grämen, nur damit ihm nichts gegen den Strich geht? Klar, keine Beziehung ist perfekt, aber das wäre doch wirklich ganz schön traurig.