Ein Krieg, zwei Meinungen

Ein Schüler aus der Ukraine wendet sich im Vertrauen an seine deutsche Lehrerin, weil deren Kollegin seine Erzählungen über den Krieg anzweifelt. Was tun?

Illustration: Serge Bloch

»Abwechselnd mit einer Kollegin unterrichte ich junge Erwachsene in ›Deutsch als Fremdsprache‹. Neulich erzählte mir ein ukrainischer Schüler im Vertrauen, dass meine Kollegin seine persönlichen Erzählungen über den Krieg in seiner Heimat infrage stellte – und dies, obwohl er noch immer Familienmitglieder dort hat und sich natürlich Sorgen macht. Ich bin fassungslos. Kann ich trotz des gegebenen Versprechens aktiv werden? Wenn ja, wie?« Susanne F., Hamburg

Wenn wir in den vergangenen zwei Jahren irgendetwas gelernt haben, dann doch, dass sehr viele Menschen wahnsinnig blöde Meinungen haben. Dazu gehört offenbar auch Ihre Kollegin. (Nur Sie und ich natürlich nicht, um aus einem fast vergessenen Poesiealbum-Spruch zu zitieren). Nein, aber im Ernst, alle meinen doch dauernd irgendwas meinen zu müssen. Und – um dem Poesie­album-Spruch direkt zu widersprechen – man selbst macht ja auch viel zu oft mit. Man hört was, hat gleich eine Meinung dazu, vertritt die auch relativ selbstbewusst dafür, dass man in Wahrheit keine Ahnung hat – bis man etwas hört, das sich zur ursprünglich meinungsbildenden Nachricht konträr verhält. Die neue Meinung lautet dann, dass man echt aufpassen muss, was die Quellen angeht, aber den Meinungen abgeschworen hat man deshalb noch immer nicht. Das ist in sehr vielen Fällen wirklich bedauerlich.

Als Bruce Willis neulich aus gesundheit­li­chen Gründen sein Karriereende verkünde­te, war im Rahmen der darauf einsetzenden Bruce-Willis-Berichterstattung irgendwo auch sein Lebensmotto zu lesen: »Live and let live«. Ich möchte Ihnen – und wirklich nicht nur Ihnen – dieses Motto ans Herz legen, denn jeder soll meinen, was er möchte, solange er damit niemandem Schaden zufügt. Anders ausgedrückt: Auch wenn Sie und ich und alle Leute, die wir mögen, natürlich wissen, was über den Angriffskrieg Putins zu denken ist, müssen Sie in diesem Fall nicht aktiv werden, was auch immer das bedeuten würde (darüber sind Sie sich ja selbst nicht im Klaren), denn es würde nichts ändern, an nichts. Zusatzmeinung: Es sei denn, es treibt Sie so sehr um, dass Sie nicht anders können – dann geben Sie sich aber bitte nicht damit zufrieden, der Kollegin Ihre Meinung aufzudrücken, sondern fragen Sie nach, diskutieren Sie und halten Sie gegebenenfalls eine andere Meinung aus.