Name: Furkan Temir
Alter: Geboren 1995 in Sivas
Ausbildung: Studium am Cinema Department der Universität Istanbul
Wohnort: Istanbul
Website: furkantemir.com
SZ-Magazin: Im September 2014 startete der selbsternannte Islamische Staat in Syrien Angriffe auf die Stadt Kobanê. Tausende von Menschen flohen in die Türkei. Sie hingegen reisten direkt ins Kriegsgebiet. Warum?
Furkan Temir: Kobanê liegt sehr nah an der türkischen Grenze. 100 Meter oder so was. Die türkische Regierung hatte die Grenzen für Zivilisten geöffnet und, laut den offiziellen Zahlen, kamen innerhalb eines Monats beinahe 200.000 Menschen in die Türkei. Als ISIS die Stadt einnahm gab es drei oder vier Monate lang Kämpfe. Diese Kämpfe waren unglaublich. Ich blieb jedoch erst einmal nur an der Grenze.
Wie lange?
Einige Monate. Nachdem ISIS dann vertrieben war, betrat ich die Stadt. Davor war das unmöglich gewesen. Jeder dachte, ISIS würde Kobanê dauerhaft erobern und jeden umbringen. Die YPG, die kurdischen Volksverteidigungseinheiten in Syrien, hatten die Stadt jedoch erfolgreich verteidigt. Als ich eintraf, fanden außerhalb immer noch Kämpfe statt. Kobanê war komplett verlassen. Es war ein vollkommen zerstörter, vernichteter Ort. Wie eine Geisterstadt. Niemand hätte dort leben können. Die meisten Leute, die in die Türkei flohen, sind bis jetzt noch nicht zurückgekehrt. Die Kämpfe gehen ja auch weiter, denn Kobanê ist ein wichtiger strategischer Ort zwischen Ar-Raqqa und Dscharabulus.
Als Sie die Fotos schossen, waren Sie gerade mal 19 Jahre alt. Was zog Sie an diesen gefährlichen Ort?
Schon damals wollte ich als Fotojournalist arbeiten, war aber noch auf der Suche nach meiner »fotografischen Stimme«. Als die Kämpfe in Kobanê begannen, konnte ich einfach nicht Zuhause sitzen bleiben. Es war eine katastrophale Situation. Zuerst traf ich mich nur mit Menschen, die aus Kobanê geflohen waren. Aber als ich sie sah und mit ihnen redete, da merkte ich, dass ich nach Kobanê gehen und die Stadt sehen muss. Und dass ich fotografieren muss.
Waren Ihre Familie und Freunde einverstanden damit?
Ja, eigentlich schon. Während der Gezi-Park Proteste hatte ich mit einem kleinen Kollektiv aus Fotografen zusammengearbeitet, agence le journal. Dort waren alle älter als ich und hatten Erfahrung mit Konflikten. Ich hatte also schon viel gelernt.
Hat Ihnen das Sicherheit gegeben?
Nein, es ist unmöglich, sich in Kobanê sicher zu fühlen. Allein schon deswegen, weil ich illegal dorthin reiste. Die türkische Regierung hatte die Grenzen für Journalisten geschlossen. Deswegen schloss ich mich einer Flüchtlingsgruppe an, die nach Kobanê zurückkehrte. Es war eine Hardcore-Reise. Ich habe jeden Tag zehn Stunden am Stück fotografiert und mit den Flüchtlingen gelebt. Ich hatte weder ein Bett, noch eine Dusche. Das Gelände war voller Landminen und dann beobachteten uns auch noch die Grenzkontrollen. Als ich zurückkehrte, wurde ich dann auch erwischt. Es gab ein Verhör und ich musste eine Geldstrafe zahlen.
Das alles, um Ihre »Identität« als Fotograf zu finden?
Ja, exakt.
Waren Sie erfolgreich?
Ich bin mir nicht sicher. Ich habe etwas erschaffen und bin froh, dass ich es überstanden habe. Außerdem habe ich jenseits von Worten gezeigt, was dort passiert. Jetzt bin ich glücklich.
Fühlen Sie sich persönlich eng mit Syrien verbunden?
Ich fühle eine Nähe zu Syrien, weil ich Fotojournalist bin. Aber ich denke nicht, dass das auch für andere türkische Studenten gilt. Geographisch hat die Türkei eine sehr große Schnittstelle mit Syrien, aber nicht emotional. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln kann man schnell, einfach und günstig an die syrische Grenze fahren. Eigentlich ist es nicht weit, aber mental eben schon. Trotzdem, ich bin hier geboren, fühle mich also der ganzen Region nah. Irak, Syrien, vielleicht sogar Afghanistan. Europa ist für die Ferien schon okay, aber mit dem Mittleren Osten bin ich viel mehr verbunden. Ich will hier meine geographische Geschichte erzählen. Das können Europäer und Amerikaner zwar auch, aber warum sollte ich diese Geschichten nicht auch erzählen? Ich bin schließlich mitten drin.
Gab es während des Projekts einen Moment, der Sie besonders bewegt hat?
Ja. Als ich mit der Nachproduktion begann, sah ich mich plötzlich von außen. Es war verrückt. Ich hatte so hart gearbeitet, ohne Pause. Als ich dann meine Bilder sah, nahm ich mich anders wahr und dachte: »Okay, das machst du gut, das musst du weiter machen«.
Fotos: Furkan Temir