Ob Britney Spears mit abrasiertem Haar, Mats Hummels mit blondiertem, Emma Watson mit Pixie-Schnitt oder J.Lo mit Pony – seichte bis radikale Frisurenveränderungen bei Prominenten stoßen in der Öffentlichkeit stets auf reges Interesse.
Aktueller Schnitt der Stunde: Der »Bowl Cut«, die etwas glamourösere internationale Version des handfesten deutschen Topfschnitts, benannt nach der wohl einfachsten Methode, diesen Haarschnitt zu vollziehen: Man lege einen Topf (engl. »bowl«) auf den Kopf und schneide die Haare ringsherum ab. Schauspielerin Charlize Theron überraschte schon Ende September mit einem frischen »Bowl Cut« und sorgte seitdem auf zahlreichen roten Teppichen für Aufsehen (u.a. bei den Premierenfeiern für ihren aktuellen Film »Bombshell«) – und für eilige Friseurbesuche begeisterter NachahmerInnen.
Einer ihrer berühmten Haar-Zwillinge ist Timothée Chalamet, der gerade mit Pottschnitt als König Henry V. in »The King« im Kino zu sehen ist. Die Mode-Suchplattform Lyst kürte den Schauspieler gerade erst in ihrem »Year in Fashion«-Report auf Platz zwei der einflussreichsten Mode-Influencer des Jahres 2019 – nicht nur dank seines Glitzer-Latzes von Louis Vuitton, mit dem er bei den diesjährigen Golden Globes auffiel. Der funkelnde Luxus-Kapuzenpulli, den Chalamet etwa bei der Londoner Premiere von »The King« trug, führte zu 192 Prozent mehr Internetsuchen nach Herren-Hoodies. Der Designer seines Vertrauens, Haider Ackermann, wurde in der Woche, in der er einen seiner Anzüge trug, 806 Prozent öfter gesucht. Es bleibt also zu erwarten, dass auch seine Frisur bleibenden Eindruck hinterlassen wird. Zeit, die Geschichte des Topfschnitts etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
Wie an Chalamets Filmcharakter deutlich wird, ist der Pottschnitt sehr viel älter und geschichtsträchtiger, als so manch ein Aaron-Carter-Fan geglaubt hätte. Einer seiner ersten dokumentierten Anhänger war nämlich König Heinrich V., geboren 1387 in Wales.
Später tauchten akkurate Pottschnitte im osteuropäischen Raum auf, etwa auf einem Werbeposter, mit dem die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik im Jahr 1921 Männer für die Ausbildung bei der Roten Armee anwerben wollte.
Der Topfschnitt befreite Frauen von alltäglichen Torturen
Prinz Eisenherz wurde ab 1937 von dem amerikanischen Comicautor Hal Foster geschrieben und gezeichnet (und 1954 erstmalig verfilmt), um die gleiche Zeit wurde der Komiker Moe Howard mit seinem Markenzeichen, dem »Bowl Cut«, und seiner Slapstick-Truppe »The Three Stooges« bekannt. Doch größere popkulturelle Beliebtheit erlangte der Haarschnitt erst in den 1960ern, dank des legendären Haar-Stylisten Vidal Sassoon. Dieser wollte Frauen mit seinen geometrischen Haarschnitten von den täglichen Torturen zeitintensiver Lockenwickler-Prozeduren und mit viel Haarspray aufgetürmter Beehives der damaligen Zeit befreien, damit sie sich auf Wichtigeres konzentrieren konnten. 1965 schuf er seinen »Five-point Cut«, einen kurzen Helmschnitt mit zwei dreieckigen Spitzen über jedem Ohr und einer W-Form im Nacken, der durch ein einfaches Schütteln des Kopfes gestylt werden konnte. Die damaligen Models Grace Coddington (heute Creative Director at Large der US-Vogue) und Peggy Moffitt zählten zu den ersten Fans, ebenso die britische Modedesignerin Mary Quant, die sich für den Aufstieg des Minirocks verantwortlich zeichnet.
Demi Moore sorgte 1990 mit ihrem »Bowl Cut« in »Ghost« für zahlreiche Nachahmer, anschließend erfreute sich der Haarschnitt vor allem unter Boyband-Mitgliedern großer Beliebtheit – am eindrücklichsten wohl bei Nick Carter von den Backstreet Boys oder auch seinem kleinen Bruder Nick. Mit dem Ende der 90er versank der Topfschnitt dann für einige Zeit in der modischen Versenkung und wurde außer von praktisch orientierten Eltern an ihrem Nachwuchs nur noch im betont avantgardistischen Nischen-Style eingesetzt.
Vor wenigen Jahren begann dann ein trauriges Kapitel des Pottschnitts. Sympathisanten von Dylann Roof, dem rassistischen Attentäter, der 2015 neun People of Color in einer Kirche in Charleston, South Carolina, erschoss, machten dessen Pott-Haarschnitt zum Zeichen der White Supremacy – und nutzen das Wort »Bowl«, um ihre eigene Gesinnung zu beschreiben. Die New Yorker Antidiskriminierungs-Organisation ADL (Anti-Defamation League, die sich vor allem dem Kampf gegen Antisemitismus verschrieben hat) nahm das Symbol des »Bowl Cut« kürzlich in ihre Liste der Hasssymbole mit auf. Dabei stand der Pottschnitt doch für etwas ganz anderes.
Es bleibt zu hoffen, dass all die popkulturellen Referenzen und die neuen, weltoffenen Fans des »Bowl Cuts« die rassistischen Konnotationen überstrahlen können und der Vereinnahmung durch die Rechten entgegenwirken. Damit die Frisur vor allen Dingen für das feministische Erbe des Vidal Sassoon in die Geschichte eingehen wird.
Wird getragen von: Henry V., Aaron & Nick Carter, Robyn
Wird getragen mit: Spitzenschere, Drei-Wetter-Taft
Nicht verwechseln mit: Fahrradhelm, Pilzkopf, Bob