In Peter Jacksons King Kong-Remake kommentiert einer der Schaulustigen vor dem Empire State Building den Tod des Affen mit den Worten, dieser sei »nur ein dummes Tier« gewesen. Niemand verkennt die Lage eklatanter. Die anhaltende Faszination der 75 Jahre alten Geschichte speist sich natürlich gerade aus dem befremdlichen Wissen, dass die Titelfigur weder dumm ist noch im geläufigen Sinne ein Tier. King Kong verkörpert vielmehr eine doppelte Wucherung und Verwischung der Gattungsgrenzen: auf der einen Seite hin zum Monströsen, Archaischen des Urzeitwesens, auf der anderen Seite aber hin zum Menschlichen.Jacksons Film bringt ein altes Motiv der bildenden Kunst und Literatur ins Bewusstsein zurück: die Frage, welche Funktion dem Affen in unserer Kultur zukommt, wie sein verstörender Status als Doppelgänger und Zerrbild des Menschen zu verstehen ist. King Kong ist die jüngste und populärste Ausprägung einer Tradition, die sich schon im Mittelalter in christlichen Bildtafeln vom Sündenfall nachweisen lässt. Der Affe fügt sich in diesen Abbildungen nicht in die Reihe der von Adam benannten Tiere ein, ist also kein bloßes Objekt des Menschen, sondern steht auf bedrohliche Weise dazwischen und erinnert den Menschen an seine tierische Natur. Spätestens um die Mitte des 19. Jahrhunderts, mit den beiden Abhandlungen Darwins Über den Ursprung der Arten und Die Abstammung des Menschen, ist diese Konstellation schließlich auch naturwissenschaftlich untermauert. Der Affe und der Mensch: nicht zwei grundverschiedene Kategorien, sondern nur zwei Stationen auf demselben Entwicklungsgang.Das Irritierende dieser Beziehung wird umso deutlicher, wenn man den Affen mit dem Status eines zweiten Tieres vergleicht: dem des Hundes. Der Hund, ein vom Menschen gezüchtetes Kulturwesen, hat seine wichtigste Funktion darin, die Identität des Menschen zu beglaubigen und sie in ihren Grenzen zu festigen. »Ich bin ich, weil mein kleiner Hund mich erkennt«, sagte Gertrude Stein einmal; und es gibt in der Geschichte der Literatur – von Odysseus’ Heimkehr bis zum Verwechslungsspiel des doppelten Lottchens – zahllose Szenen, in denen es allein der Hund ist, der den Menschen trotz aller Verstellungen und Maskeraden zu identifizieren vermag. Wie anders dagegen der Affe: Er erkennt den Menschen in seiner klar umrissenen Identität nicht an, sondern hält ihm einen Zerrspiegel vor, weist ihn unaufhörlich auf die porösen Grenzen zwischen dem Animalischen und dem Humanen hin. »Sieh her, wie dünn der Firnis deiner Kultur ist«, drücken seine Grimassen und Naturlaute aus. Und während der Hund, der treue Garant und Zeuge, problemlos in das alltägliche Leben der Menschen Einzug findet, ist der Blick auf den Affen allenfalls in der domestizierten Sphäre des Zoos gestattet, getrennt durch Gitter und Gräben.Oder eben in den Fantasien der Kunst und Literatur, in denen Menschen Teil von Affengesellschaften werden (wie Swifts Gulliver) oder Affen in die Menschengesellschaft geraten wie King Kong. Vermutlich hängt die Beliebtheit dieses in der Kinogeschichte so häufig wieder aufgegriffenen Dramas von der Annäherung des Riesengorillas an die Menschenfrau mit seiner letzten Endes beruhigenden Grundaussage zusammen. Denn anders als wahrhaft verstörende Affengeschichten von Flaubert bis Kafka stellt King Kong die Vertrauen erweckenden Grundinstinkte des Titelhelden in den Vordergrund, seine Liebesfähigkeit und seinen Gerechtigkeitssinn, die ihn der bestialischen Anmutung zum Trotz beinahe humaner machen als das menschliche Personal, die skrupellosen Filmproduzenten und selbstverliebten Schauspieler. Auf diese Weise dient der berühmteste fiktive Affe unserer Zeit als Beruhigungsmittel für ein immer schon problematisches Verhältnis der Gattungen. King Kong versöhnt uns mit der latent bedrohlichen Figur des Affen.